Mein Gott! Welchen Hoffnungen gibt sich ein junger Künstler hin!
Soll man sie ihm, je begabter, um desto eindringlicher, austreiben?
Darf man das?
Ich kam – zum Glück? – noch nicht in die Verlegenheit, einen jungen Künstler zu betreuen, dem ich etwas zu sagen gewusst, der mich ernstgenommen, bei mir Rats gesucht hätte, allzumal im Sinne dessen, dass er meines Metiers.
Ich stelle mir den Fall aber jetzt mal vor.
Der Kerl ist 24, sehr begabt, es mangelt ihm nicht an Ideen, sein Deutsch zeigt schon beachtliche Züge, er werkelt und macht und tut, das eine oder andere Stück lässt schon Klasse aufblitzen.
Er ist überzeugt davon, dass er es schaffen wird.
Nun ergibt sich das Grundproblem. Das doppelte.
Was willst du schaffen?
Willst du gut schreiben, willst du Erfolg, oder willst du gar beides?
“Klar will ich beides!”
Darf man ihm jetzt sagen, soll man ihm jetzt sagen, dass er im unteren Mittelmaße viel mehr Aussicht auf Erfolg habe, denn wenn er den Weg zum Parnass ernsthaft angehen wolle?
Soll man ihm sagen, dass er schleunigst ein braves Mitglied einer Freimaurerloge werden müsse, um in den nächsten zehn Jahren mit einiger Wahrscheinlichkeit “etwas zu gelten”?
Er ist, wenigstens biologisch, schon ein Mann.
Nein: Um desto mehr er taugt, umso weniger darf man ihn schonen.
Es ist ihm klarzumachen, dass es mit der Kunst vielleicht nie etwas wird. Und zwar nicht nur im Sinne des Könnens, sondern allzumal in jenem des Erfolges, selbst und gerade noch dann, wenn es mit dem Können etwas geworden.
Handelt man anders, so lügt man. Es sei denn, man wüsste es nicht besser. Dann aber wird man besser gar nicht gefragt.
“Ab wann ist man ein Meister?”
“Ein Meister bist du dann, wenn du dein gelungenes Werk allein einzuschätzen vermagst. Wenn es für dich keine Rolle mehr spielt, wie sehr es von anderen geachtet. Wenn du der anderen Urteile zwar noch mit Interesse betrachtest, sie dich aber nicht mehr beirren können.”
“Und wie wird man ein Meister?”
“Du übst dich in deiner Kunst selbst, unermüdlich, und du übst dich in jener zweiten Kunst, jener des Urteils über deine Kunst. Des eigenen, gnadenlosen, unerbittlichen, unabhängigen Urteils.”
Du wirst es erleben, dass deine besten Versuche und Frühwerke am meisten gescholten werden, Zweit- und Drittklassiges hingegen gelobt wird.
Das geschieht in seltenen Fällen, um dir die Sinne zu verwirren: meist liegt es am mangelnden Urteilsvermögen der anderen.
Es gibt aber auch kluge Kritik. Deine Wahl guter Kritiker ist fast schon eine dritte Kunst. Manche entschlugen sich dieser weitestgehend, und fuhren nicht schlecht damit.
Und: Achte alle anderen Künste. Bist du Dichter, so rede mit Malern, mit Musikern, mit Schauspielern, mit Bildhauern, mit Sängern allzumal. Da schotte dich nicht ab. Schotte dich lieber noch von anderen lebenden Dichtern ab, denn von jenen.
Es gilt jeder Buchstabe, jeder Laut. Nichts nur ist zu gering, dass es nicht beachtet gehörte.
Schaue dir deine Werke immer wieder an. Drehe dich nicht einfach weg. Erspare dir keine Peinlichkeit des Erkennens deiner Fehlerhaftigkeit.
Ergebe dich dem Trunke ebensowenig wie den Weibern.
Gut ist es auch, wenn du ein Handwerk lernst.
Das schärft die Sinne. Das Praktische wird zum Leben gebracht.
Wandle Hoffen in Wollen und Schaffen.
Hoffen hilft dir nicht.
Und, klar: Studiere die Werke der großen Meister deiner Zunft. Immer wieder.
Aber: Schaue auch da genau hin. Gar manches glänzt nur in der anderen Augen und Ohren, oft bloß, weil man das der Masse so beigebracht.
Und: Wage etwas. Nicht immer, aber immer wieder. Versuche dich auch einmal an einer Sache, die du dir noch gar nicht zu können zutraust. Wenn es schiefgeht, halb schiefgeht, was nicht unwahrscheinlich, so betrachte es als Gehversuch. Meister fallen nicht vom Himmel.
Irgendwann siehst du ein Sandkorn oder einen Tabakkrümel, und es erwächst dir daraus eine neue Idee, womöglich eine große, weit tragende.
Lerne, Ideen lange in dir zu bergen.
Wende dich nicht einfach vom Hässlichen, vom Bösen ab. Um Großes schaffen zu können, musst du auch das erfassen, genau kennen.
Man wird dir erzählen, das sollest du nicht. Du sollest nur das Schöne sehen. Die dir das erzählen, sind Toren oder Verführer.
Und: Setze auch dein Bauchhirn in Gang. Fühle.
Mehr weiß ich dir einstweilen nicht zu sagen.
Morgen fällt mir vielleicht noch etwas ein, das ich in der Eile vergaß.