Deutsch-Südschwitz: Das Völkerunrecht wackelt

Um halb elf klingelte mein kleiner Wecker. Ich hatte, als ich vom Goldenen Ochsen her in meinen Verschlag gekommen war, fast um vier, noch eine halbe Stunde gesonnen, fühlte mich aber den Umständen entsprechend gut.

Pünktlich um elf war ich bei Olli zum Frühstück.

“Na, Magnus, komm erstmal rein. Kaffee? Oder doch lieber ein Bier für den Aufgewärmten?”, neckte Olli mich zum Gruße.

“Wenn der Kaffee heiß ist, kannst du das Bier einstweilen kalt stehen lassen”, gab ich ihm zurück, “der dürfte den anstehenden Dingen wenigstens zunächst am besten dienen.”

Wir tranken erstmal Kaffee, ich zündete mir eine Morgenzigarette an.

“Sag, hast du etwas herausgefunden gestern Abend? Kriegst du in Freiberg noch ein Bier?”

“Von den Russen bekomme ich sogar zwei.”

“Russen?”, meinte Olli, “was denn für Russen?”

Also folgte die Nacherzählung meiner Fährnisse der gestrigen Nacht.

Olli schwieg eine ganze Weile.

“Magnus, meinst du, was ich meine?”

“Vermutlich.”

“Wenn man alles zusammenrechnet, ist das eine noch heiklere, größere Sache, als wir schon zu befürchten allen Grund hatten.”

“Genau so sieht es aus. Fehlen nur noch mexikanische Straßenräuber, die man hier als Verkehrspolizisten beschäftigt.”

“Immerhin sieht es so aus, noch, als ob man um uns buhle. In verschiedener Art, von verschiedenen Seiten her. Was könnte an diesem Stück Halbwüste und Wüste, gerade so groß wie Hessen, höchstens zweihunderttausend Einwohner, keine nennenswerte Industrie, keine bedeutenden mindestens bekannten Bodenschätze, keine Großbanken, keine hausgemachten oder eingeschleusten Terroristen, wenigstens noch nicht, so übergreifend interessant sein, dass du jetzt, ganz zufällig, schon mit Borissen und Fongs zu tun kriegst?”

“Es muss eine Sache sein, die unterm Strich nicht nur Südschwitz betrifft. Ich habe gestern noch lange darüber nachgedacht. Anders ergibt alles keinen Sinn.”

“Zumindest ergibt es nicht all das Gesindel. Hast du eine Idee?”

“Mir kam nur eine. Wenn der Hase da im Pfeffer liegt, geht es hier wirklich um die Wurst. Und zwar auch für Norddoof.”

“Na, dann lass’ die Katz’ mal aus dem Pfeffer!”, meinte Olli, indem er sich seinen zweiten Kaffee mittels eines kleinen Schusses Kognak rektifizierte.

“Der völkerrechtliche Status von Südschwitz ist nicht geklärt. Es könnte sein, dass Südschwitz nicht eindeutig Teil des UN-Feindstaates Deutschland ist. Dass also auch das alliierte Besatzungsrecht hier nicht gelten könnte. Mit allen denkbaren Konsequenzen. Capici, Olli?”

Olli trank von seinem rektifizierten Kaffee. Dreißig Sekunden, und er meinte: “Leck mich am Ärmel. Das erklärte natürlich alles. Klar, noch keineswegs alles. Aber schon eine nicht übersehbare Menge.”

“Du solltest…”

“Den Herrn Fong ganz zufällig, freundesfreundeshalber, bei mir zum Wein einladen.”

“Ja, auf jeden Fall. Wir wären blöd, ließen wir den Chinesen einfach fahren. Was mache ich aber, wenn ich die Russen wieder treffe? Und was signalisiere ich jetzt Hartholtz?”

“Bei den Russen musst du improvisieren, wir wissen noch zu wenig. Hartholtz wird schon darauf brennen, von dir zu hören. Zur Privataudienz heute Nachmittag bei ihm. Wir müssen jetzt selbst handeln, sonst wird über uns allenfalls verhandelt. Treibe diesen Fong bei. Er darf mit zu meiner Rede vor meinen Leuten, kriegt eine freundliche Vorstellung und von meinem Wein. Mal sehen, ob er da zurückzuckt. Mal sehen, wer jetzt noch aufkreuzt.”

Wir saßen eine Weile und schlürften, und es wurde uns beiden letztklar, wer schon dasein musste, wenigstens bald verschärft sich zeigen.

“Olli, jetzt haben wir…”

“Ja, die Vollkrätze.”

“Amis und Brits.”

“Wieso spricht du es aus?”

“Damit es die Nachwelt vielleicht erfährt, wenn man uns jetzt gleich erschießt oder erdrohnt, wofern wir dabei anständig abgehört wurden und das Band auf wundersamen Wegen in eine wohlwollend nachrufende Hand geriete.”

“Lass’ den Quatsch. Was ist also logisch?”

“Logisch ist, dass Ariane deren mehr oder weniger eingeweihte Agentin ist. Und, dass Hartholtz davon weiß. Du weißt, dass die Amis in Norddoof schalten und walten, fast wie sie nur wollen. Von daher kann eine Implementierung einer angelsächsischen Kontrolle hier durchaus von dorther die entsprechende Deckung haben. So, dass Hartholtz angewiesen, mitzuspielen. Ob er das mag, sei erstmal dahingestellt. Erstmal ist ein Befehl ein Befehl. Olli, ich schlage vor, dass ich versuche, meine Audienz bei Hartholtz schon um drei anzusetzen, vielleicht treibe ich ja zwischenzeitlich auch Fong auf, damit wir hier, wenn dir die Selbsteinladung nicht missfällt, gegen acht – so kann ich noch einen Nachmittagsrundgang machen – einen Beratungsimbiss einnehmen, der mich für den anstehenden Samstag Abend stärken mag und Zeit zu weiterer Beratung bieten.”

“Iss erstmal anständig zu Mittag. Deine Schicht könnte auch heute etwas länger werden.”

 

 

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2 Antworten zu “Deutsch-Südschwitz: Das Völkerunrecht wackelt”

  1. Dude sagt:

    “Es muss eine Sache sein, die unterm Strich nicht nur Südschwitz betrifft.”

    Ja, schliesslich handelt es sich auch um den Geruch der Freiheit im Angesicht der Selbstständigkeit!

  2. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ Dude

    Hartholtz liest am liebsten Schiller, sagt er. Und manchmal auch was von mir, immer dann, wenn er Lust habe, sich sprachliche und gedankliche Hybris, hinterlistiges Aufrührertum, verschwurbelte Figuren der Insubordination zu Gemüte zu führen. Ich sei zwar kein wirklich ernstzunehmender Stratege, verfüge aber, zumal für einen Zivilisten, mitunter immerhin über einiges taktisches Geschick.
    Mal sehen, was ich gleich aus ihm herausgekriegt haben werde bzw. er aus mir.

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