Meine Wirtin ist mit Sicherheit eine der klügsten Frauen, die ich je kennengelernt. Sie sieht alles. Jedenfalls sieht es, ich habe sie lange beobachtet, so aus.
Manchmal dachte ich schon, sie wisse bereits, wenn ich hereinkomme, wir uns grüßen, dass ich heute keine frische Unterhose anhabe oder egal was.
Die Art, wie sie Komplimente verteilt, Freundlichkeiten, immer angemessen, nie aufgesetzt oder übertrieben, oder auch mal eine notwendige kleine Rüge gegenüber einem Unbekannten oder Stammgaste, ist praktisch unschlagbar.
Diese Frau arbeitet sehr, sehr hart, und doch sieht es so aus, als wolle sie gar kein anderes Leben als dies ihr Leben.
Genug geschwätzt: Ich bewundere sie.
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Es gibt einen Netzeintrag, in dem es heißt, die Gäste säßen bei ihr wie als ob im eigenen Wohnzimmer. Ich sprach auch schon von meinem zweiten Wohnzimmer. Ja, das hat sie geschafft, das schafft sie täglich, dass man – auch dort gibt es mal Streit, wie sollte es sonst sein? – mit diesem Gefühle ihre Gastwirtschaft betritt.
Zwei Freunde, die ich erst dort kennenlernte, sind “mir” in den letzten beiden Jahren leider weggestorben. Da wollte ich manchmal gar nicht mehr hin. Das habe ich aber zum Glück nicht durchgehalten.
Nicht nur all der skurrilen Typen wegen, die, außer mir, dort verkehren, der frischen Luft halber, die ich manchmal brauche (auch wenn sie dort oft ärgst verräuchert), ob der neuen Freundin (naja, halten wir den Ball mal flach, guten Bekannten), die ich dort gewann, zieht es mich immer wieder, wie als ob magisch, ins Anwesen meiner klugen Wirtin (derer ich nicht nachstelle).
In letzter Zeit erlebe ich auch, wie immer wieder immer öfter interessante, neue junge Leute hereinkommen (damit meine ich jetzt ab Fünfundzwanzigjährige, die Zeiten, als man schon mit 16 unter Geistern verkehren, rauchen und trinken durfte, sind leider vorbei), sich das Lokal neu belebt, sodass nicht nur alte Muppetsshow-Brüder wie ich und ein paar Kumpane an der Theke sitzen und olle Kamellen austauschen.
Man will wieder Echtes. Jeder hat ein Handy. (Außer mir. Meins funktioniert fast nie.)
Fast jeder geht, wenn er doch einmal mobil angerufen wird oder anrufen muss oder will, vor die Türe. In unserem Wohnzimmer lallt man nicht in ein Elektroteil hinein. Wenn man schon lallt, dann anständig, einen anderen hiesig Vorhandenen, vielleicht Mitlallenden an.
Nur selten daddelt einer an seinem Schmerzphon herum. Das mag mal eine Novizin machen.
Es guckt nicht einmal einer böse, wenn das doch passiert. Man lästert höchstens ein bisschen. Macht den oder die aber nicht schräg an. Jeder lästert. Nicht immer, aber dauerndzu. Man ist ja, zumindest unter den Eingesessenen, Familie. Jeder und selbst jede Zugereiste spürt, dass man das mit dem Dummphon, wofern nicht anderen doch mal gerade kurz etwas darüber zu zeigen, in unserem Heiligen Hag und Haine nicht macht.
Man sinnt, man redet, man lacht, wird derb, grob, macht sich, zumal unter den Ureinwohnern, auch freundlichst schräg von der Seite an, man lebt, händelt, beschimpft sich wechselseitig bis zur Grenze des Schwäbischen oder gar Sächsischen, kaum eine verbale Grobheit, Bosheit bleibt aus, umarmt sich endlich wieder: man ist Mensch.
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Tags: Dummphon, Kluge Frau, Schmerzphon