Die Schule in Buschhausen steht. Sie ist innen schön weiß getüncht, Olli hat einem pleitegegangenen Privatgymnasium in Norddoof für einen Appel und ein Ei das ganze Inventar abgekauft, über Lagos im Container herschaffen lassen, mitsamt Rechnern, Tafeln, Lehrbüchern und einer beachtlichen Bibliothek.
Der Andrang ist gewaltig. Ich musste bereits eine Lehrerin einstellen, die die Grundis betreut. Zenzi, sie ist 38, stammt aus irgendeinem niederbayerischen Kaff hinter Deggendorf, hat zwar, zumal wenn sie sich mal wieder aufregt, was gar nicht selten vorkommt, einen etwas heftigen Akzent (naja, wenn sie mal “schleich di!” und anderes von sich gibt, ist es schon mehr als nur ein Akzent), ist aber sehr engagiert und im Erklären ein As. Die Hintlinge finden sie (es gibt hier kaum ein größeres Kompliment) “echt buschig”. Ich hörte sogar mal, wie ein kecker Hintlingsspross sie “öberst buschig” nannte, worauf ich zwar vermeinte, ein leichtes Rosa über ihr Antlitz huschen zu sehen, jener sich aber wegen schlechten Deutschs stante pede eine deutliche Rüge einfing. Zenzi ist, das lässt sich nicht bestreiten, nicht nur recht buschig, sondern, mit ihrem neckischen Pagenschnitt in Blond, auch, da man in Deutsch-Südschwitz nicht gerade fünf Mäntel übereinander zu tragen pflegt, noch nicht einmal die verfrorensten Damen, zudem neben dem, und das ist ebenfalls nicht wenig, was sie zu sagen hat, eine echte Attraktion, schadet dem Rufe und Ansehen der Schule dadurch keineswegs, auch wenn sie von mancher Hintlingsmutter mitunter etwas kritisch beäugt wird, dahingehend, ob sie dem Ihrigen wohl gar zu sehr gefallen möchte.
Sie weiß aber, was Männer sind (von X Bierfesten hinter Deggendorf, wo sie sich ihr Studium verdiente), egal wie durstig oder schon nicht einmal mehr durstig, geht damit also sehr professionell um. Ich will um sie jetzt aber nicht gleich noch mehr Worte machen, denn meine Schüler frotzeln mich eh schon mehr als ziemlich dessenthalben an, der Herr Direktor (der “Ditz”) habe offenkundig schon ein besonders Auge auf Frau Konrektorin geworfen, was ein echter Hintling aus Deutsch-Südschwitz ja problemlos verstehen könne undsoweiter undsofort…
Sowieso gibt es hier nicht wenige also aufgeweckte wie freche Kinder und Halb- bis Dreiviertelswüchsige. Die meisten von ihnen haben schon mit angespitzten Stecken Wüstenratten gejagt, bevor in Norddoof ein Kind auf ein Dreirad gesetzt wird. Ihr Wissen in Punkto örtlicher Flora und Fauna ist schon in den ersten Klassen überaus erstaunlich. Wenn sie in der großen Pause auf dem Schulhof Schleuder- und Bogen- und Armbrustschießen üben, gehen einem ob ihrer Geschicklichkeit manchesmal geradezu die Augen über. (Es gab sogar einen Antrag, man solle auch mit Kleinkaliber-, wenigstens Luftgewehren üben dürfen, den es mir aber, einen langen Sermon über Maß und Mitte in schulischer Ausbildung, zur Beförderung sozialer Kompetenz und Intelligenz, ich weiß nicht mehr, was ich sonst noch alles herausschwatzte und daherschwadronierte, Zenzi half glücklich dazu, selbst damit drohend, dass sie so keine Pausenaufsicht mehr übernähme (was zumal die Jungs dann doch etwas nachdenklich werden ließ), irgendwie nochmal abzulehnen gelang.
Etwas mehr Sorgen indes macht mir die sprachliche Entwicklung der Hintlingskinder, also auch generell der Deutschunterricht.
Aus allen dialektalen Gebieten Norddoofs hier in die Halbwüste und Savanne zusammengespült, haben die Hintlinge zunehmend eine Art Buschdeutsch entwickelt, das in mancher Hinsicht aus der Perspektive des verantwortlichen Pädagogen doch schon bedenkliche Züge dahingehend annimmt, dass teilweise eine eigentlich nicht mehr zu duldende grammatische Verwahrlosung um sich greift, die ja, wenn nur in der Familie und mit Nachbarn sozusagen gepflegt, nicht zu beanstanden wäre, aber auch im regulären Deutschunterricht mitunter schon zu Schwierigkeiten führt, die, um es mal so auszudrücken, fast schon jenseits von Unterfranken.
Während der Unterfranke nämlich den Dativ für einen weiteren Akkusativ hält (also z.B. statt “Das habe ich dem schon gesagt”: “Dös hoh I den scho gsochd”), ist hier (teilweise sogar schon in der Hauptstadt, besonders aber bei den Hintlingen und deren Zöglingen) eine Art Genitiv-Wahn ausgebrochen, dessen hiesiger Verwendung ich mich als konservativer Deutschlehrer, obschon seiner sonsten nicht abhold, im Gegenteile, nicht immer uneingeschränkt delektieren kann.
Man hört hier nicht selten nicht nur solche noch erträglichen Wendungen wie “dessen mag ich nicht haben”, sondern findet auch – selbst schriftlich in Klausuren, wo bei mir der Spaß aufhört – Dinger wie “Nachdem der Ratte erledigt, fragte ich meiner Mutter, wessen sie heute gekocht habe, ob es schon wieder der Gazelle gebe, worauf ihrer Antwort, zunächst sei der Tomaten auszugeizen und zu gießen, bevor eines Mahles überhaupt zu denken sei.”
Beklage ich mich dessen, erwähne der Gepflogenheiten in Norddoof, welche man ja auch hier unten in Südschwitz nicht vergessen solle, auch der dortigen Diktion vorsorglich nicht gänzlich verlustig zu gehen, so schallt es mir des Heftigsten entgegen, der Art, sich auszudrücken, sei halt des Südschwitzerischen, grade meiner Sorte, des Schwäbischen erwachsen, komme einer diesbezüglichen Rüge gerechterweise nicht zu, allda ich der Pflege der Mundarten doch stets predigte.
Auch des eigentümlichen hiesigen Wortschatzes ergeben sich der Probleme.
So sagt man unter anderem “Akaz”, wenn man einen Hagestolzen meint, der “unbuschig” ist (also etwas bescheuert), ein “Unhug” ist einer (ich weiß nicht, ob sich da wortbildungsmäßig “Hag” – das Einhegen der Häuser mit Dornbüschen ist hier sehr wichtig – mit “Unfug” verbunden hat), dessen Anwesen eher etwas verlottert ist, oder der sich in der Blonden Gazelle, wo man sich dessen schon gewaltig anstrengen muss, bis eines temporären Lokalverbots danebenbenommen.
Ein etwas zu loses Weib hinwiederum wird als “Höckrige” bezeichnet, wenn überdies etwas dumm oder unansehnlich, als “Abgehöckerte”.
Rein sprachwissenschaftlich ist das natürlich recht interessant; wenn ich aber in der Oberstufe des Quijotes bespreche, kann es mir doch zuviel werden, muss ich in jedes zweiten Aufsatzes dazu lesen, dieser Akaz “bümbele” (das heißt, er träumt) “alswie ein Dörrbusch” (mit die übelste Beleidigung, die es hier gibt) seiner “Abgehöckerten”, da er nichts “gepföffen” (begriffen).
Da ich mir des Zieles gesetzt habe, jeden mir anvertrauten Schüler – man weiß ja nie, wessen noch kommt – auch eines eventuellen Lebens in Norddoof zu befähigen, habe ich also doch auch manchmal einiger Sorgen.
Gewahre ich indes des Morgens wieder Zenzis, vergesse ich derer jedochs schnell. Ihrer Rede, ihres Antlitzes, bauet meiner dieser Tätigkeit wieder auf, wes ich dieser Schule und all meiner Schüler liebe.
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