Von der alten neuen Agora

Gestern saß ich mit einem vortrefflichen, gebildeten, keinem derben Scherze wie feinen Witze abholden Manne zusammen, dessen Kenntnis und Bewusstsein bezüglich sprachlicher Feinheiten und Register ich als zumindest außergewöhnlich bezeichnen will.

So kamen wir denn auch auf die deutsche Sprache als solche bzw. den heutigen Zustand und Behuf derselben. Ein Streit ergab sich. Jovial, beim Biere, aber engagiert, heftig, direkt ausgetragen.

Er meinte, die Komplexität der deutschen Sprache sei unhaltbar; Konjunktive, komplexer Satzbau, das sei von gestern; keiner mehr wolle so etwas lernen; kaum noch Deutsche, Ausländer, Migranten schon gar nicht; kein Wunder sei es, dass Englisch, aufgrund seiner einfachen grammatischen Struktur, Weltsprache geworden; man müsse den Tatsachen ins Auge sehen und sich in dieser Richtung anpassen; das sei nunmal der Lauf der Welt. Ich kämpfe, anderes, gar eine Renaissance der gehobenen deutschen Sprache ansetzen zu wollen, einen vergeblichen, wenn nicht lächerlichen, zwar vielleicht hehren, aber doch klar verlorenen, sinnlosen Kampf.

Ohne Sie über den folgenden Disput bezüglich analytischer und synthetischer Sprachen, die Entwicklung hin zu ersteren ins Spezielle ziehen zu wollen (ich wand noch ein, dass Basken, Finnen, Ungarn mit ihren komplizierten Sprachen doch ganz gut zurecht kämen), will ich meine Gegenrede kurz zusammenfassen, um hernach zum Eigentlichen zu kommen.

Ich entgegnete, dass es auf allen Ebenen, auch jener der Sprache, in der Völker- und Menschheitsentwicklung immer wieder Dekadenzphasen gegeben habe, dann aber auch wieder solche des neuerlichen Aufstiegs, durchaus auch, siehe Renaissance (das füge ich jetzt hinzu, kam gestern so nicht dazu), aus der Rückbesinnung auf bewährtes Alte heraus.

Dass ich nicht bereit sei, mein geliebtes Deutsch in die Ecke zu werfen, weil der Weltmarkt dies gerade anscheinend fordere.

Ganz im Gegenteile.

Überdies gebe es oft gegenläufige Tendenzen, so, dass einerseits alles verlottere, aufgegeben werde, während andere, dessen immer deutlicher gewahrend, sich umso mehr besännen.

Es geht darum, was man will.

Will man möglichst kompatibel, also nützlich-irrelevant in einem beliebig formbaren Völkeramalgam am sechsten Treppenabsatz einer globalisierten Werbeabteilung oder einer entsprechenden Bank oder Versicherung oder Behörde oder sonstigen Zinskriegsmaschine seinen vermeintlich gesicherten Platz finden, sich dieser Illusion des modernen Menschseins hingeben, so wird man dem zustimmen, folgen, was mein Kontrahent kolportierte.

Will man die Verteidigung, nicht nur eine Verteidigung, Bewahrung und Beförderung von Substanz und klarem Gedanken, alswelcher zur Grundlage seiner Verbreitung begrifflicher Differenziertheit bedarf, einer Redfähigkeit, die sich nicht in einem Geldgeiersimpeltume erschöpft, so ist die bewusste Sprachpflege eines der obersten Gebote.

Meine ich.

Je verflachter das Denken, umso verflachter die Sprache: und umgekehrt.

Es ist mir hennenseichsschweinsschietegal, vom Grunde her, wenn ich damit allein stehe.

Denn ich weiß, dass das richtig ist.

Ich werde jetzt auch mal frech.

Hier, auf dieser Seite, zeigt sich, immer wieder, nicht aufgrund dessen, was ich biete, sondern aufgrund der Leistungen von Kommentatoren, dass ich richtig liege.

Man blubbert nicht einfach irgendwas raus; man versucht, sortiert, durchdacht, gut ausgedrückt, zu reden; man zeigt Achtung vor der guten Gegenrede; man arbeitet am Thema; man opfert sich nicht einfach einem virtuellen Markte.

Da mag jeder auch einmal eine schwächere Sentenz bringen, eine Schwächephase insgesamt haben: Na und?

Die Ernsthaftigkeit ist stets sichtbar (wenn doch nicht, ist der Troll bald abgetrollt): es ist nicht Rotz ins Netz.

Heute, da man kaum noch längere Realbriefe an Freunde schreibt, wie früher, schreibt man, wo man das will, genauso ernsthafte an Menschen, die man oft (meist) nicht kennt, aber gleichzeitig auch an die ganze Welt.

Das macht die Aufgabe nicht geringer. Im Gegenteil.

Nicht nur der langjährige Freund soll einen verstehen, alles ist für sowohl den/die direkt Angesprochenen wie auch die gesamte Menschheit.

Ich habe hier gesehen, dass daranentlang eine bewusst erneuerte Sprachkultur beispielhaft wachsen kann.

Eine, in der derbe Späße ebenso Platz haben, wie subtile Anspielungen, Frotzeleien, harte Riposten, spekulative Erwägungen, Tief- und Trübsinniges, heitere Dithyramben, knappe Kalauer, freundlicher Trost, harter Ordnungsruf, allfälliges Gelächter, Kindliches, wissenschaftlich stringent Vorgetragenes, Esoterisches, Ranziges, Andeutendes, Diffus-noch-unerklärt-Fragendes, Flüche, Lyrisches, blanke Verdächte: die ganze alte neue Agora.

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6 Antworten zu “Von der alten neuen Agora”

  1. Dude sagt:

    “Will man möglichst kompatibel, also nützlich-irrelevant in einem beliebig formbaren Völkeramalgam am sechsten Treppenabsatz einer globalisierten Werbeabteilung oder einer entsprechenden Bank oder Versicherung oder Behörde oder sonstigen Zinskriegsmaschine seinen vermeintlich gesicherten Platz finden, sich dieser Illusion des modernen Menschseins hingeben, so wird man dem zustimmen, folgen, was mein Kontrahent kolportierte.

    Will man die Verteidigung, nicht nur eine Verteidigung, Bewahrung und Beförderung von Substanz und klarem Gedanken, alswelcher zur Grundlage seiner Verbreitung begrifflicher Differenziertheit bedarf, einer Redfähigkeit, die sich nicht in einem Geldgeiersimpeltume erschöpft, so ist die bewusste Sprachpflege eines der obersten Gebote.

    Meine ich.”

    Was gibt’s da noch zu meinen?? Mit diesen zwei Sätzen allein, beweist Du Deine Aussage ja bereits endgültig und schlüssig! :-)

    Sollen die Narren sich doch in der globalen Veranglikanisierung gleichschalten lassen, wenn sie unbedingt zu Teilen eines Einheitsbreis verkommen möchten, aber erst recht gilt für die Bewussten der Kampf gegen die Windmühlen weiterzukämpfen; erwartungslos aber bestimmt.

    Ps. Würdest Du mir freundlicherweise noch ein deutsches Synonym für “Dithyramben” liefern bitte? Mein Online-Wörterbuch kennt das Wort genausowenig wie ich. *lol* Startpage hat mir lediglich geflüstert, dass es wohl etwas mit griechischer Mythologie, Dyonisos und Nietzsche zu tun haben sollte… ^^ :o)

  2. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ Dude

    Ein deutsches Synonym für Dithyrambus?

    Oh weh, das wird schwer.

    Näher als Weingottsgesang komme ich erstmal nicht dran.

  3. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ Dude

    Du hast etwas Wichtiges, wenn nicht das Entscheidende genannt: “erwartungslos aber bestimmt”. (Eigentlich schon wieder ein Titel…)

    Je klarer, unmissverständlicher man das zu zeigen, auszustrahlen in der Lage, umso mehr Menschen, die nicht völlig zubetoniert, horchen auf.

    Zunächst, so ehrlich das ist, eben wenn sie das als ehrlich erkennen, verwundert sie die Kombination von “erwartungslos und bestimmt”; können sie ihren Gegenüber dann weder als einen Schwachkopf noch ansonsten haltlosen Träumer noch einen Fanatiker irgendeiner Richtung festmachen, so weicht die Verwunderung wenigstens nicht so leicht; es mag gar das Denken einsetzen, weshalb jemand denn solches ansetze.

    Du hast dies sicherlich schon öfter erlebt; zu Dir kann ich aus der Praxis heraus reden; es ist mir grade, nachts um irgendwann, schnurze, wenn uns sonst keiner mehr versteht.

    Genau da fängt die mögliche Veränderung an; eben, dass man auch in anderen etwas verändern kann, ohne gewaltsam übergriffig zu werden; einfach, indem man stehen bleibt, lächelt, aber auch mal dahingehend klar auf den Tisch haut, dass man sich in einer solch vermeintlich lächerlichen Lage ganz genau richtig fühle, diese bewusst gewählt, nicht ein Gran davon abzuziehen habe.

    Auch hier wirkt das Redundanzprinzip.

    Man wird nicht zwangsläufig zum Deppen, wenn man an einem und demselben Orte gegenüber verschiedenen oder auch gegenüber einem an verschiedenen Orten dahingehend beharrlich bleibt; es mag einem eine gewisse Wunderlichkeit nachgesagt werden; ja; merken die Menschen aber, dass man sich ansonsten keineswegs versteift, immerzu solch Besonderes anzusteuern wie suchtweis an sie trägt, ihre ganz normalen Sorgen und Nöte ebenso wie den guten Bierwitz mit ihnen aufnimmt, so mag sich das Blatt wenden.

    Und dies allzumal, wenn man so verwundbar bleibt, offen, wie man nunmal ist, sich keine Allüren zulegt, keinerlei Anstalten macht, einen eigenen Esopuff aufzulegen. Eben echt (beinahe hätte ich gesagt “authentisch”) bleibt.

    Irgendwann fangen die Leute sogar damit an, einem zu verzeihen, dass man ihnen an einem oder dem anderen Punkte, zunächst so gesehen, zunahe trat. Und sie verzeihen es einem nicht nur noch so, wie man dem Narren verzeiht, sondern als einem, der es wenigstens vom Grunde her nicht schlecht mit ihnen meinte.

    Dann ist schon viel gewonnen.

    Wieso macht der das?

    Der ist doch nicht bescheuert.

    Wieso macht der das?

    Ab da ist es nicht mehr weit bis zu der Frage, was der denn eigentlich mache.

    Die Leute gehen dann, manche, mit zwar erstmal schmerzhaften, aber für sie doch gewichtigen Gedanken nach Hause, lasten diese aber nicht mehr Dir oder mir an, als ihnen übel reingebraten, sondern eher in einem Verständnisse, dass sie dies oder jenes zu sehr vor sich, auch vor anderen, verborgen, womöglich verschüttet hätten.

    Es kann gelingen.

  4. Dude sagt:

    Früher, in den guten Königshäusern, wo der König noch ein wahrer Mann aus dem Volke war, diesem zuallererst verpflichtet, waren es in Wirklichkeit die Hofnarren, welche die Gleise des Reiches legten, und seine Weichen stellten…

    ;-)

    Erwartungen machen allerhöchstens an sich Selbst Sinn. Das Leben lehrt immer wieder eindrücklich, dass bei Erwartungshaltungen anderen gegenüber letztlich allzu oft nur Ent-Täuschung wartet…

    Wer weiss, wer er ist, woher er kommt, wohin er geht, was er will, und was nicht, und dabei nichts erwartet, wird nicht enttäuscht, und ist alles, immer klar und bestimmt!

    Das kann durchaus auch austrahlen (vielleicht über die morphogenetischen Felder, wer weiss? ;-) ).

    Solange diese Inkarnation weiter geht, werde ich auch nicht ruhen…

    “…es ist mir grade, nachts um irgendwann, schnurze, wenn uns sonst keiner mehr versteht.”

    Nanana, Du solltest doch wissen, dass hier noch einige weitere “Verständige” anwesend sind – Stille, als auch Schreibfreudige. :-)

    “…keinerlei Anstalten macht, einen eigenen Esopuff aufzulegen.”

    Wer einen Esopuff aufziehen will, hat das Wesentliche nicht kapiert, und er wird letztlich durch das Guruprinzip verseucht. Aber dieses hab ich hier schon in einem anderen Strang erklärt. Frag mich aber nicht mehr wo.

    Ob’s gelingen wird, werden wir dann sicher sehen… …unerheblich. :-D

    Ps. Der Kampf oben sollte natürlich im Akkusativ, und nicht im Nominativ sein. Hab mal wieder schluddrig korrekturgelesen hier in der allzu kleine Box… ;-)

  5. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ Dude

    Zunächst zu Deiner Rüge. Das mit dem schnurze von wegen Verständnis war zugegebenermaßen etwas schnoddrig-boshaft.

    “Das kann durchaus auch austrahlen (vielleicht über die morphogenetischen Felder, wer weiss? ;-) ).”

    Irgendsoetwas wie “morphogenetische Felder” gibt es für mich zweifellos.

    Es wirkt aber ebenso zweifellos (da wird mir wohl jeder zustimmen) und leichter beschreibbar, durchaus damit verbunden, die Tatsache, dass die Leute über einen reden.

    Tritt nun ein mehreren besonders verwunderliches Merkmal bei einer Person auf, so wird dies über kurz oder lang Thema werden.

    Das kann einem (bzw. der Sache, die man vertritt, dem, wie man sie vertritt) nun zum Nachteile oder zum Vorteile ausgehen. Klar.

    Manchmal aber ist ein kurzfristiger Nachteil der Same zum langfristigen Erfolg.

    In dem Sinne, dass ein sich kollektiv aufgebaut habendes Abwehrfeld die Leute, oft ungewollt, unbewusst, noch mehr dahin bringen kann, sich mit dem zu befassen, das sie ablehnen, für lächerlich halten usw.

    Da können die Leute zwischenzeitlich durchaus mal ziemlich boshaft und gefährlich werden.

    Dieser Effekt – ich vermute es sogar stark – dürfte es auch gewesen sein, der Dir erst kürzlich einige nicht unbeträchtliche Unbilden bescherte.

  6. Thomas sagt:

    Wahre Worte von euch.
    Die Kraft liegt im Wort.
    Nicht hier, nicht dort
    eindeutig im Wort.

    Wenn Glaube Berge setzt
    setzen Worte Welten.
    Welten, die gut und schlecht
    werden können, je nach dem
    ob die Worte richtig gehört werden.

    Um Worte richtig zu hören
    müssen sie wohl gelernt zu sprechen sein.

    Warum wohl sind (waren) die Deutschen ein Volk von Dichtern und Denkern? Wenn nicht die Komplexität unserer Sprache dafür verantwortlich zeichnet, was dann? Ich beherrsche die Sprache nicht mehr so gut wie früher muss ich zugeben. Die Bedeutung selbiger glitt mit über die Jahre ins Abseits. Dank dem Göllerblog habe ich die Bedeutung und die Wichtigkeit der Sprache wieder neu erkannt und schicke mich wieder an, deren Kunst mir zu verfeinern. Dank dem Göller. Dafür war der Wein.

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