Ich habe immer wieder über die Invektiven von Leserin Lesezeichen dahingehend nachgedacht, dass die ganze Philosophie eine Art Luxus aus dem gefüllten Bauche sei, während der Gottesglaube hinwiederum nicht nur dem Saturierten Halt und Richtung gäbe, sondern ebenjenem, der in echter Not.
Für mich persönlich zumindest muss ich diesen Ansatz deutlichst verweisen; zwar war ich nie dem Hungertode nahe, sosehr sich die Nonnen nach meinem schweren Unfall mit acht Jahren auch dahingehend mühten, denn ich schlürfte ihren Schweinseimerfraß eben doch; was mir dabei half, war aber kein Gottesglaube, sondern frühe kindliche Philosophie.
Diese bildete sich schlicht so auf, dass ich verzweifeln, einem Psychiater, noch nach der körperlichen Schwerstangefressenheit und klinischen Fehl- sowie Unterernährtheit in einem Zustande, der Aufbaufutters dringendst bedurft hätte, darob schließlich ausrastend, zum letzten Possen der geistigen Zwangsumnachtung zugeführt werden könne, alswelche Möglichkeit mir sehr klar vor Augen geführt ward, täte ich nicht „gut“, oder aber mir eine Geisteshaltung aufbauen, die diese unsinnigen Monster dergestalt ruhigzustellen gleichzeitig so effektiv sei, wie dass ich die boshafte Quälerei irgendwie zu überleben mich in die Lage versetze.
Ich wünsche keinem Gläubigen, das schlundverbundene zynische Bauchrednergelächter gehört zu haben, das allein auf dessen Geschwätz hin, und wenn es mir auch nochmal übel wehgetan hätte, erschollen wäre, da Gott so eindeutig nirgends war, und am allerwenigsten bei jenen, die ihn ständig im Munde führten, wie er das nur sein kann, ertragen haben zu müssen.
Es ging so weit, dass ich teils sogar ein gewisses Mitleiden gegenüber jenen Gläubigen entwickelte, die jederzeit bereit waren, mich jenseits aller unnötigen Pein, derer sie mir nicht wenig zuzufügen sich befleißigten, da ich sah, dass es diese erbärmlichen guten und gerechten Erwachsenen offensichtlich einfach nicht besser wussten.
Ich hegte gleichwohl, beinahe gänzlich hilflos, ausgeliefert, als ich da war, auch große Wut, aus praktischer Vernunft fast immer in mich zurückgepresst, gegenüber diesen reflektionslosen Zeitgenossen und jenen, die sich aufgrund der zementierten Machtverhältnisse nicht wider sie zu stellen wagten.
Nein: Philosophie gebiert sich nicht nur aus der Langeweile und dem lammfiletvollen Bauche heraus. Sie kann auch schwerstverletzt, den Flüssigschlunz aus dem Zusammengekochten des Resteeimers chancenlos, schließlich stoisch ertragend, erstehen.
MEIN Zugang zur Philosophie jedenfalls wurde dort geöffnet, wo es der von außen kommenden Freuden keine gab; wenn man so will: in der Hölle.
Unsäglich viel dummes Geschwätz; zudem Zwangsbeten am Abend (morgens um Fünf erstmal das blöde Thermometer in den Arsch), was ich mitmachte, die gottesfürchtigen Furien nicht zu weiteren Untaten wider mich aufzureizen: Ja, so ward ich im zarten Kindesalter zum heimlichen Philosophen.
Ich hatte nämlich bald spitzgekriegt, dass ich die Sache, wenn auch entstellt und als halber Krüppel, überleben werde, wofern die mich nicht in ein Kinderirrenhaus zu bringen sich durch eine meinige Unbedachtheit gerechtfertigt sähen; und da ich doch noch nicht lebensmüde war, beschloss ich, das irre Treiben über mich ergehen zu lassen, mir die Welt noch etwas länger anzuschauen. Immerhin wusste ich ja, dass es noch etwas anderes gab, setzte darauf, dass das Leben späterhin auch anderes für mich bereithalten könne, denn grause Bigotterie, haltloses, in Brutalität einvermischtes, hohles Mitleidensgeschwätz der, hätte ich dazu lachen können, lächerlichsten, perversesten Sorte.
Mir wird immer klarer, dass ich all das schon damals sah. Ich verfügte nur noch nicht insgesamt über das Wort und derart strukturierte Gedanken, dies so darzulegen, wie es mir heute zu tun nicht mehr schwerfällt.
Man hat viel Zeit, nachzudenken, wenn man zwei Wochen bewegungsunfähig in einem Gipsbette verbringt und dazu einen Fraß eingeflößt bekommt, nebst guten schlechten Worten, dass man eine angehungerte gesunde Ratte noch mit Peitschenhieben dahintreiben müsste, sich solch einen Endabranz einzuverleiben.
Nein, liebes Lesezeichen: Die Philosophie gebiert sich nicht nur aus dem fröhlichen vollen Bauche heraus, dem Überschwang, dem Überflusse.
Das mag es wohl geben, wie übrigens, was die Religion anlangt, wenn der Pfaffe Geld und Macht riecht und schmeckt, nicht selten auch. Ein allgemein zutreffendes Paradigma aber ist das definitiv nicht. (weiterlesen…)
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