“Scherben bringen Glück!” ?
Gestern Abend bin ich obigem merkwürdigen Sprichwort – einem von denen, die nun wirklich jeder kennt – wohl etwas nähergekommen.
Zunächst mal ist das natürlich purer Aberglaube: eine Kategorie, von der schon Giordano Bruno sagte, man solle mäßig sein darin.
Also geschah’s: Ich hatte ein Huhn mit köstlichem Gemüse in der Röhre und dieses natürlich immer wieder mal rauszuholen zum Wenden.
Nebenher war wie immer hie und da etwas an der Spüle zu verwerken, neben welcher ich mein Rotweinglas geparkt hatte.
Zwei-, nein, dreimal fuhr’s mir in den Sinn, dass ich dieses doch bei etwas Unachtsamkeit leicht mit dem Ellenbogen touchieren und zu Fall bringen könne: es also lieber wegzustellen sei.
Aber nein, mein Stolz gebeute mir, es stehen zu lassen, denn als alter Küchenkämpe sei ich doch nicht so ein blöder, unachtsamer Schwabenschussel, und zumal mir der Gefahr ja schon bewusst.
Sie wissen schon, was geschah.
In irgendwelchen Gedanken versunken eben doch das Verfahrlasste.
Radäng! flog das Glas in die nebicht offene Spülmaschine, dort schon ein paar Teile seiner selbst sowie einiges seines Inhaltes hinterlassend, abdotzend gen Küchenboden.
“Scherben bringen Glück!” – also schoss mir’s durch den Kopf, da ich mit wenig Begeisterung die fällige Reinigungsarbeit aufnahm.
Plötzlich aber merkte ich, dass es mir eigentlich gar nicht durch den Kopf geschossen war, sondern dass ich das selber zu mir selbst gesagt hatte.
Da begann ich über den Spruch nachzudenken.
Und mir wurde klar, dass dieser zumindest in diesem Momente als reine Trost- und Schutzbehauptung fungiert hatte.
Um mich nicht allzusehr über meine sturbockelige Blödheit zu ärgern, die Sache künstlich ins irgendwie doch nicht so Verkehrte, Positive, gar Glückliche zu wenden.
(Manchmal ist der Mensch ein Rind.)
Selbstverständlich steckt neben dieser Funktion auch eine tiefere Sicht der Dinge hinter dem erörterten Diktum.
Erst nämlich, wenn etwas zerbrochen ist, kann das Neue, oft Bessere, Glücklichermachende an dessen Stelle treten.
Dieser Fall lag hier aber eindeutig nicht vor.
Denn wenn ich nach dem Aufräumen ein entsprechendes Glas aus dem Sechserkarton ziehe, ist in diesem Sinne nicht wirklich etwas gewonnen.
Indes: Sollte ich in meinem Übermute dieses Glas zerdeppert haben, daraus die Erkenntnis ziehen, insgesamt mit übersteigerter Selbstgewissheit unterwegs zu sein, dies als Warnung begreifen, allgemein etwas sorgsamer aufzupassen: dann werde ich anderntags vielleicht “deswegen” nicht von einem irren Raser überfahren, weil ich selbst mit dem Idioten noch gerechnet habe.
Alswomit mir das kleine Malheur das große Glück des Überlebens gebracht hätte.
Nur als Beispiel.
Eins noch dazu.
An Polterabenden ist es heute noch Brauch, vor kräftigem Umtrunke eine Menge Geschirr zu zerschmeißen, wessen Scherben hernach die Brautleute wegzuräumen haben.
Ob es mehr Glück bringt, neben billigen Tellern auch Meißener Porzellan zu zerdeppern, ist unbekannt.
Aber, da wir uns hier im Bereiche der Magie befinden, möchte dies nicht einmal ausgeschlossen sein.
Zum Schlusse noch.
Eben erst las ich dazu, mich vergewissernd, bei Wikipedia unter dem Eintrag “Polterabend”:
‘Dem Brauch des Porzellanzerbrechens liegt das volksetymologisch gedeutete Sprichwort: „Scherben bringen Glück“ zugrunde. Der aus dem Töpferhandwerk stammende Begriff „Scherbe“ bezeichnete ursprünglich alle irdenen Gefäße, nicht nur die zersprungenen. „Scherben bringen Glück“ bezog sich somit darauf, dass viele Gefäße im Sinne gefüllter Vorratsbehälter eine glückliche Fügung für den Besitzer darstellen.’
Damit bekommt die Sache nochmal eine sprachtiefenpsychologische Wendung, die mir bis vor zehn Minuten völlig unbekannt war.
Denn dass viele volle Gefäße Öls, Xelchtens, Weins … Glück bedeuten und bringen können: Wer wollte das bestreiten?
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Tags: Glück, Polterabend, Scherben