Stuttgart 21: Launiges und Übellauniges aus Schwaben

Gestern Abend, nach dem zeitgeist-Regionaltreff mit unserem langjährigen Kolumnisten Dr. Telor (einem sechsundachtzigjährigen, sehr engagierten S-21-Gegner, gar per Bildzeitungsfoto mit rausgestreckter Zunge von den Ordnungshütern weggetragen werdend berühmt geworden), wo es nicht nur tiefgründig, sondern vor allem auch sehr lustig zugegangen war, radelte ich noch in meine Stammkneipe, mir ein gemütliches Bierchen zu genehmigen.

Nun war dort gerade Stadtviertelstraßenfest, wodurch sich allerlei Volks, das sonst dort eher selten bis gar nicht gesehen, auch an meinem Hirnparkplatz einfand, so dass von der daselbst sonst üblichen Geruhsamkeit kaum noch die Rede sein konnte.

Als es doch schon etwas ruhiger ward – ich hatte mir inzwischen am Nichtdurchschieb zum Abtritt einen Thekenhocker ergattert – , ich schaute mir mal meine neue Kleist-Gesamtausgabe ein bisschen an, des Trubels trutzig, sah mich ein hochgewachsener junger Mann, eben Bieres ordern wollend, ob dieser meiner ihn wohl etwas merkwürdig dünkenden Tätigkeit recht scheel von der Seite an, seiner Labung harrend.

Da ich bei seiner Trankesforderung schon ins Ohr bekommen hatte, dass er wohl kaum näher als dreihundert Meilen von Stuttgart aufgewachsen sein konnte, stach mich der Lokalpatriotenhafer und ich erklärte ihm ungefragt (ich berichte jetzt alles in Schriftdeutsch, obzwar ich Schwäbisch und Halbschwäbisch schwätzte), so sei das nunmal hier in Stuttgart, dass die Hälfte der Ansässigen Dichter seien und die andere Hälfte Architekten.

Sein Gesicht begann sich daraufhin nicht eben zu entspannen.

Die Architekten bräuchten wir nunmal, fügte ich an, um all die Dichter durchzufüttern.

Und im übrigen seien viele Architekten nebenbei noch Dichter, und viele Dichter nebenbei Architekten, ob des Broterwerbs.

Inzwischen gäbe es aber sogar eine dritte Sorte Stuttgarter, nämlich die Klasse der Demonstranten, die sich aber wiederum weit überwiegend aus Architekten und Dichtern zusammensetze.

Daraufhin meinte der also Belehrte, diese ganzen Demonstranten gehörten alle verprügelt.

Ich frug ihn sodann, was er denn gegen jene habe.

“Die gehen mir gewaltig auf den Zeiger!”, meinte er deutlichst.

“Na gut”, versetzte ich, “das kann ich ja verstehen, aber vom Verprügeln halte ich trotzdem nicht sonderlich viel.”

Ja, da habe ich ja im Grunde recht, aber es sei schon eine echte Pest, grummelte er noch und machte sich mit den glücklich eingetroffenen Bibenda an seinen Tisch von dannen.

Die Moral von der Geschicht’?

Viele der Bahnhofsgegner in Stuttgart sitzen auf einem so hohen Ross, dass Befürworter oder Neutrale vielerorts wie Asoziale behandelt werden.

Kein vernünftiger Stuttgarter traut sich noch, einen Pro-Aufkleber auf sein Auto zu pappen, weil er durchaus mit Recht fürchtet, sein Mobil dessenthalben nicht unbeschädigt wiederzufinden.

Umgekehrt ist es kein Problem.

So, dass es so aussieht, als seien hier alle gegen Stuttgart 21 – überall Kleber, Pamphlete, Anstecker usw. – : was aber definitiv nicht stimmt.

Es ist ein Gutmenschenterror, welcher dergestalt auch mir gewaltig auf den Zeiger geht.

— Anzeigen —

Diesen Beitrag mit Anderen teilen: Diese Icons verlinken auf Bookmark Dienste bei denen Nutzer neue Inhalte finden und mit anderen teilen können.
  • Facebook
  • Technorati
  • MySpace
  • LinkedIn
  • Webnews
  • Wikio DE

Tags:

Eine Antwort hinterlassen