Ohren hinter den Ohren

Nietzsche meinte auch, man müsse noch Ohren hinter den Ohren haben.

Daran habe ich mich eben erinnert, als ich eine merkwürdig erregtsame Kritik zu hiesigen jüngeren Einlassungen erfuhr.

Zwar schnell erfassend, auch durchaus antizipiert habend, wer und weshalb vom Angesprochenen nicht eben angetan gewesen sein könne, fragte ich, in welcher Weise denn die inkriminierten Stellen so “Scheiße” gewesen seien, erhielt aber lediglich die Antwort, ich möge mir diese nochmal durchlesen, dann fände ich es vielleicht selbst raus.

Auch auf nochmaliges Nachfragen lediglich den nochmaligen unwirschen Hinweis von wegen “Scheiße” und dass ich so meine Leser vertriebe.

Solches führt zunächst zu zweierlei Pfaden der Interpretation.

Entweder habe ich mich tatsächlich vergaloppiert, oder jemand erträgt etwas nicht, weil es ihm zu nahe geht oder er meint es gehe anderen zu nahe.

Im letzteren Falle ist zunächst nichts besonderes dabei.

Alltag.

Im ersteren fragt sich, weshalb auch auf eindringliches Nachfragen kein Hinweis gegeben wird, was denn so unerträglich “Scheiße” gewesen sei.

Das kann dann eine mehr oder weniger sinnvolle pädagogische Maßnahme sein, oder aber, in solchen Fällen häufig, zwar darauf hinweisen, dass ich vielleicht für viele ein wenig übertrieben habe, aber damit einen so wunden Punkt getroffen, dass im Grunde über “Scheiße” hinaus Sprachlosigkeit eingetreten ist.

Dann liegt indes, da ich hier nicht zu Straf- oder sonstigen Schandtaten aufrufe, der Ball mindestens nicht nur in meinem Felde.

Wenn ein Witz, ein Text einfach nur schlecht und deplaziert ist, dann kann man das normalerweise auch erklären.

Es sei denn – was nicht ausschließt, dass er tatsächlich schlecht und deplaziert sein könnte – man ist generell nicht recht redfähig (was beim Kritikanten in diesem Falle auszuschließen), oder eben nur in diesem Falle.

Man kann selbstverständlich auch noch so ungehalten sein, dass man einfach nichts sagen will, außer “Scheiße”.

Solche Fälle sind beste Gelegenheiten dafür, zu prüfen, wie gut die eigenen Ohren hinter den Ohren hören.

(So viel Katz muss ich jetzt natürlich noch aus dem Sacke lassen: Es ging um meine, wie so oft, ungebührliche Behandlung Gottes.

Das ist der Kerl, der zwar seit Jahrtausenden semi-exklusiv strafen darf, dessenthalben seine Jünger aber trotzem unglaublich schnell erzsauer bzw. beleidigt sind. (Ich habe damit mein unheiliges Versprechen nicht gebrochen, denn diese Erklärung war notwendig.))

Man braucht für solcherlei Phänomene auch nicht unbedingt einen Gott, obschon dies die Auftrittswahrscheinlichkeit erheblich erhöht; es mag auch die Beleidigung eines Porsche oder einer Zigarettenmarke genügen.

Oder des Sitzes einer Bartbinde.

Letztlich ist das einerlei.

In einer Zeit, da sich Menschen nicht klar und offen gegen Massenmörder zu stellen wagen, brauchen sie Ventile.

Und da ist es gut, wenn man einen findet, bzw. einen Text oder ein paar Aussagen, wider die man sich ersatzweis empören kann.

Egal, ob derjenige sich tatsächlich danebenbenommen hat oder unpässliche Rede zu verzeichnen war.

Die ganze Welt ist heute voll von solchen Ersatzhandlungen gegen Richtiges oder wenigstens vergleichsweise Harmloses.

Der Grund dafür ist Hilflosigkeit und Feigheit.

Eigene Untätigkeit, Faulheit, tief sitzende Frustration davonher, dass man nicht gegen das vorgeht, was einen wirklich stört, wogegen man tief drunten weiß, dass man eigentlich vorgehen müsste.

Viellicht waren die inkriminierten Texte wirklich “Scheiße”.

Aber meine Ohren hinter meinen Ohren hören noch etwas ganz anderes heraus.

— Anzeigen —

Diesen Beitrag mit Anderen teilen: Diese Icons verlinken auf Bookmark Dienste bei denen Nutzer neue Inhalte finden und mit anderen teilen können.
  • Facebook
  • Technorati
  • MySpace
  • LinkedIn
  • Webnews
  • Wikio DE

Tags:

Eine Antwort hinterlassen