Wann ist Spiritualität kein Mist?

In den Beiträgen “Spiritualität ist fast immer Mist” und “Spiritualität ist fast immer Mist (II)” und den Kommentaren dazu wurde einiges zum Spiritualitätsmist erörtert.

Die obige Frage allerdings, die sich logisch aus der ursprünglichen Behauptung ergibt, nämlich wann bzw. welche Spiritualität denn kein Mist sei, wurde bislang nicht untersucht.

Unter nichtmistiger Spiritualität verstehe ich zunächst einmal das Vorhandensein von Geist sowie die gewollte Entwicklung und Verfeinerung seiner Aufnahmefähigkeit und Ausdrucksformen.

Wenn es also jemand schafft, durch tägliches Angucken eines Rosenquarzes oder Ikebana-Stecken oder Biertrinken seine Gedanken positiv weiterzuentwickeln, zu mehr Klarheit zu gelangen, so hat derjenige sich spirituell eindeutig nichtmistig betätigt.

Aber nur dann.

Denn die drei Beispieltätigkeiten sind ja nicht schon nichtmistig spirituell an sich.

Sondern sie sind es dann, wenn sie vom entsprechenden Menschen entsprechend ausgeführt werden.

Künstlerische Tätigkeiten oder die Beschäftigung mit Kunst werden von vielen Menschen fast bedenkenlos mit nichtmistiger Spiritualität gleichgesetzt.

Nichts könnte verkehrter sein.

Nur weil einer ständig falsch und schlecht singt oder die Brüder Karamasov liest, entwickelt er noch lange keine nichtmistige Spiritualität. Womöglich das schiere Gegenteil.

Ersterer, weil er sich mit einiger Wahrscheinlichkeit immer mehr einbildet, doch ganz ordentlich zu singen, womit er seinem eigenen Geiste schadet, und überdies andere, die sein Gekrächze ertragen müssen, auch nicht gerade hochspiritualisiert, indem er ihnen regelmäßig auf den Geist geht.

Zweiterer mag, wenn ohnehin nicht recht gefestigt, Dosotoijewskischen Gedankenstürmen womöglich so weit nicht gewachsen sein, dass er sich einer obskurantistischen Sekte anschließt, womöglich gar Autokastraten.

Dann war dessen Lesen dieser Art Weltliteratur spirituell gesehen eher mistig.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel.

Manche lesen die Werke Crowleys und entwickeln sich daran entlang geistig, ohne durchzudrehen, andere drehen durch und werden zu weitgehend verkehrsunfähigen Spiridioten.

Hiemit ist also, obschon weder Die Brüder Karamasov spiritueller Mist sind noch das Liber 777 oder Confessions, deren Lektüre keineswegs unbedingt spirituell nichtmistig.

Und damit ist auch das Legen von Tarotkarten oder die Astrologie spirituell mistig oder eben auch gerade nicht.

Des Jupiters ist nicht des Ochsen.

“An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!” – sagte da wohl auch mal einer.

Und so bilden WERKE denn auch ein gewichtiges Urteilskriterium.

Die allgemeine Ausdruckskraft. Die klare Rede über den spirituellen Gegenstand. Klare Begriffe.

Erklärt einer stets nur, das könne er dem Nichteingeweihten (noch) nicht erklären, so hat er entweder selbst nicht viel von dem verstanden, was er da spiritualisierend treibt, treibt also spirituellen Mist, oder aber er will sein Spirituelles für sich oder wenige alleine haben bzw. darüber sinistre Macht über andere erlangen, was man normalerweise wiederum als spirituellen Mist betrachten muss.

Jeder, der offenkundig mehr zurückhält, als er zwingend müsste (alles kann man natürlich auf dieser Welt nicht gleich jedem erzählen), steckt irgendwie im spirituellen Mist.

Wohingehend ein Biologielehrer, der seinen Schülern die Wunder des Lebens mit Begeisterung lernt, immer anschaulicher zu Gesicht zu bringen, höchlich spirituellen Nichtmist treibt.

Jeder anständige Koch betreibt meist spirituellen Nichtmist. Sogar der sorgfältige Malzwhiskybrenner.

Es gibt kaum zählbar viel spirituellen Nichtmist auf der Welt.

Nur wird merkwürdigerweise der größte Teil des spirituellen Nichtmistes nicht als spirituell gehandelt, während zum höchst bemerkenswerten Gegenteile ein Großteil dessen, was als spirituell gilt, spiritueller Mist ist.

Diese semantische Fundamentalverdrehung der Wörter “spirituell” und “Spiritualität” im allgemeinen Sprachgebrauch war denn auch der Ausgangspunkt für die Vorartikel.

In gängiger Diktion ist “Spiritualität” meist das Gegenteil dessen, wessen Quasisynonym sie sein sollte: Des Geistigen.

Geist, Geistiges, Geistigkeit als Ohngeist.

Wenn so etwas in einer Sprache passiert, kaum bemerkt wird, wie selbstverständlich hingenommen, dann verkommt diese geistig, auf den Hund.

Dann dauert es auch nicht mehr lange, bis das Gemeinweisen Geistloses mittels Paragraphen vor dem Geiste schützen muss.

Voilá: So gebiert sich die Diktatur des Ungeistes aus dem Schoße spirituellen Mistes.

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4 Antworten zu “Wann ist Spiritualität kein Mist?”

  1. Gockeline Gockel (via Facebook) sagt:

    Die Kirchen prangert man an,weil sie Geld annehmen, um ihre Hilfen für arme zu bezahlen.Die heutige esoterische Spiritualität bezahlt man sehr teuer ohne Garantie auf Erfolg.In der Bibel steht geschrieben :”den Seinen gibt er es im Schlaf!”Die müßen also nichts bezahlen!Sie bekommen Spiritualtät von ihm geschenkt.

  2. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ GG

    Die Kirchen sind natürlich nicht eben begeistert davon, dass inzwischen auch andere Anbieter von Spiritualität am Markt sind.

    Als moderner Manager spiritualisiert man ganze Firmen, nachdem man entsprechende Seminare besucht hat.

    Google, eines der fragwürdigsten Unternehmen auf dem Erdenrund, sagt seinen Mitarbeitern dauernd: “Don’t be evil.”

    Das macht den Laden höchstwahrschinlich nicht besser, gibt aber den Leuten ein spirituelles Gefühl.

    Es ist sogar spirituell, wenn man wiederverwertetes Klopapier kauft.

    Viele Vegetarier halten sich schon deshalb für spirituell, weil sie kein Fleisch essen.

    Physiker geben sich immer spiritueller, weil es dann mehr Zaster gibt und mehr Einladungen in Schwatzschauen.

    Freimaurer sind sowieso spirituell, auch deren allerletzte Driebel.

    Die ganzen USA sind höchst spirituell, wie man schon auf den Dollarnoten sieht und in jeder Präsidialrede hört.

    Botox macht spirituell, und es gibt auch schon besonders spirituelle Huren.

    Wer einen Hund hat oder eine Katz, dessen Beziehung zum Tier ist höchst spirituell.

    Nicht spirituell ist eigentlich nur noch derjenige, der nicht an jeden Mist glaubt und nicht jeden, der dies tut, für spirituell hält.

    Das Wort ist zu einem beliebigen Fetisch geistiger Leere und austauschbarer Eitelkeit verkommen.

    Jede Nachhilfemassenklitsche gibt sich den Touch des Spirituellen, arbeitet ganzheitlich, weil es dann weniger darauf ankommt, ob der Unterricht was taugt.

    Und wenn einer nicht mehr gelernt hat, als sich den Finger im eigenen Hintern zu brechen, so wird sich auch noch einer finden, der ihm das als besondere Form der Spiritualität abkauft.

  3. Lis Minou sagt:

    Das “Gemeinwesen”, bzw. zwielichtige Organisationen, schützt(en) doch Geistloses bereits seit langem vor dem kritischen Geist.
    Davon abgesehen: “Mitzeichnung”! Sehr klug diagnostiziert.

  4. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ Liz Minou

    Danke.

    Konfuzius wurde ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten fuchsteufelswild, wenn Begriffe verdreht wurden.

    Er war der Meinung, damit gehe alles bachhalden, dies sei der Anfang vom Ende.

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