Zunächst will ich hier wiederholen, was ich im Kommentarstrang des ersten Teils bereits sagte: Durch die umfässlichen und manches für diesen Teil ursprünglich Geplanten vorwegnehmenden Beiträge der Leser Sil und Tosco sowie meine Entgegnungen dort gestaltet sich dieser Vierte Teil etwas anders als zunächst angedacht.
Ich habe mich in diesem Zusammenhang nunmehr dafür entschieden, das Thema doch nicht mittels zahlreicher Zitate von dort und Querverweise dorthin weiterzubetreuen, wie ich es spontan als notwendig erachtete, sondern setze hiermit Teil I und den anschließenden Faden sowie die Teile II bis III / III(b) als bekannt voraus.
Zur Rolle des Sancho Pansa als eines besonderen Typus des positiv traumatisierten Menschen, wozu ich Teil III(b) versprach, mich im Zusammenhange näher zu äußern.
Als ich um 1988 an einem Hauptseminar zur Interpretationsgeschichte des Don Quijote teilnahm, war ich zutiefst beeindruckt, geradezu überwältigt davon, wie sehr sich die Rezeption und Interpretation des Werkes je epochal hintergrundsbedingt verschoben hatte: jedes Jahrhundert hatte es völlig unterschiedlich aufgefasst.
Und schien mir dieser sehr merkwürdige Prozess keineswegs abgeschlossen.
Neben anderen Dingen, die in Teil V abgehandelt werden, fiel mir nach einiger Zeit auf, was bisher ganz erstaunlicherweise fehlte: dass die Figur des Sancho Pansa angemessen gewürdigt werde (ich schreibe jetzt aus der hohlen Hand, habe die letzten 20 Jahre Literaturwissenschaft hierzu nicht parat).
Keck, wie meist zu jener Zeit, konfrontierte ich meinen Professor mit der These, die nächste Interpretationsphase werde wohl den getreuen Knappen in den Fokus ihrer Erwägungen rücken, zum bislang unerkannten, heimlichen, womöglich gar eigentlichen Helden der Geschichte erklären.
Der Herr Hochschullehrer indes war wenig überzeugt oder gar begeistert, obzwar ich ihm darlegte, der untersetzte, bodenständige, robuste, ungebildete, doch nie um ein angeschrägtes Sprichwort verlegene, bauernschlaue, proletarisch gestrickte Sancho, ein Überlebenskünstler vor dem Herrn, lieber einmal rechtzeitig Reißaus nehmend denn den tragisch-wirren Junker spielend, den genugsamen Esel des modernen Esels reitend, unverwüstlich, Symbol des Volksheroismus’ par excellence, von keiner gelahrten Spohisterei in seiner Lebenssubstanz angekränkelt, dem Wein und dem Derben zugetan, im besten Sinne misstrauisch, skeptisch, lebensklug und –erfahren, jede gute Gelegenheit zum Käserwerb, zum Material fassen nutzend, dabei durchaus widerwillig fleißig, aber eben doch, zumal treu, ohne indes als Erster hier! zu schreien, wenn Fährnis und Entbehrung verteilt werden, solch einer müsse doch in unserem nivellierten, unaristokratischen Zeitalter zuallerwenigstens bei den linken (= „progressiven“) Literaturwissenschaftlern und Intellektuellen, also fast allen, endlich zu Ehren gelangen, sobald jedenfalls, wie einmal einer derer, gar ein Platzhirsch der Antiautoritären und Egalitären, ebenfalls auf meinen eben präsentierten Gedanken käme.
Und dass das verblendet-geniale Heldentum des Don Quijote ja nur gleichzeitig auf den Schultern des Sancho ruhe, ohne den er keine drei Schritte weit käme, wie eben auf dem Kontrast zu diesem, im dialogischen Widerstreit, als dessen Freund sowie Antithese, überhaupt erst zur Wirkung gekommen sei, was die Bedeutung und bisherige Geringschätzung ja per se schon nachweise.
Gut soweit.
Nun zur Frage der „malditos encantadores“, der „verfluchten Zauberer“ (wörtlich: „Einsinger“), die Don Quijote dafür verantwortlich macht, dass die Welt der Fahrenden Ritter versunken, selbst einem Edlen wie ihm immer wieder Trugbilder vorgesetzt, die Sinne verwirrt, Hiebe, gar Hohn und Spott zuteil.
Setzen wir nun einmal den Fall, mit jenen seien weder Außerirdische noch numinose Wesen gemeint: Dann muss es sich um Menschen handeln, denen alles zuwider ist, wofür Don Quijote steht, bzw. wahrscheinlich noch viel mehr, was er in den Köpfen anderer auf den Weg zu bringen droht.
Und zunächst wie im weitesten Sinne steht der Edle dafür, dass der Geist über der Materie steht, für Inspiration, Intuition, Gerechtigkeitssinn, Redlichkeit, Schutz der Schwachen, Musikalität der Sprache, Tapferkeit, Freisinn, Freigiebigkeit, Milde gegen andere, Härte gegen sich selbst, wahre höhere Bildung, die Wissenschaften, die Poesie.
Wendet man nun die Begriffe dieser kurzen Aufzählung in ihr Gegenteil, so sind die verfluchten Zauberer in ihrer Wesensart auf den Punkt beschrieben.
All diese eint e i n Programm, e i n Wille: den Menschen die Ausflucht vor ihren möglichen Wirklichkeiten als natürlich und unumstößlich verordnet und gegeben einzusingen, zu deren einziger Wirklichkeit zu machen.
Und als Träumer, als Irren hinzustellen denjenigen, der sich ihren Lock und Drohliedern nicht hingeben mag, der anders hört und spricht, ihren Zauber nicht achtet, den positiv Traumatisierten, dem die e i g e n e Welt s e i n e Welt und die der wahren Liebe und wahrhaftigen Kunst mehr gilt, als all der Tand, welchen jene für seine Unterwerfung bieten.
Indem Cervantes die Sache so spiegelte, dass Don Quijote als der Irre erschien, Sancho als etwas einfältig, aber manchmal eben wieder doch nicht, vermochte er es, diese Botschaft bis ins Heute weiterzureichen.
Wie der positiv Traumatisierte Fahrende Ritter es dann bewirkte, den verfluchten Zauber schon in der Geschichte selbst wenigstens teilweise zu brechen, welche Botschaft uns dadurch mitgegeben, wie dies zur Gänze zu schaffen sei, das folgt im Fünften – und zumindest vorläufig – letzten Teil.
— Anzeigen —
Tags: Cervantes
@MWGöller
Sehr schön geschrieben und es macht Lust auch den fünften Teil zu lesen, was ich gleich tun werde.
Was Duzen und Siezen angeht: Mit dem Duzen habe ich nicht immer gute Erfahrungen gemacht. Bin jedoch was Sie angeht Herr Göller bereit, mich zum Duzen durchringen zu können. Also meinetwegen Du.
Schon von anderer Seite wurde mir eine gute Geburt gewünscht, Du ahnst es Magnus, meine Emailadresse sagt ja alles. Von meinem zukünftigen Kind hoffe ich, daß ihm jedoch ein jegliches Trauma erspart bleibt, selbst wenn es sich später zu einem positiven Trauma weiterentwicklen würde. Ich finde es einfach besser, höchstens gleich zu Anfang und mit einem Wort als positiv Traumatisierte(r) zu starten – ein Geburtstrauma genügt also meiner Meinung nach vollkommen fürs ganze spätere Leben.
Zur Zeit bin ich etwas stark eingebunden, werde Deine Seite aber weiterhin mit viel Interesse besuchen. Jedenfalls ab und zu oder eben öfter.
Liebe Grüße, Sil
@ Sil
Freut mich sehr, dass Du Guter Hoffnung bist!
Und ich bin durchaus Deiner Meinung, dass man nicht gar noch zum Spaße jede Menge Traumata braucht.
Wünsche Dir und Deinem Nachwuchs in diesem Sinne alles Gute!