Vom positiv traumatisierten Menschen III

Die Vorstellung, Cervantes habe den Don Quijote als Abbild eines eifernden Jesuiten konzipiert, wie von “Tosco Torpedo” in seinem Kommentar zum zweiten Teil insinuiert, ist abwegig (Sollten die Obscurati von Skull & Bones symbolisch seine Füße küssen, so wissen sie wohl kaum, was sie da tun.).

Dass Cervantes in seinem Hauptwerk immer wieder den guten katholischen Glauben als Leitstern hervorhebt, ist meines Erachtens lediglich der Hürde der damaligen scharfen Zensur geschuldet, die es zu überwinden galt; die Hauptfigur des Fahrenden Ritters selbst ist in keiner Weise moralisch eng, bigott, rigide angelegt, vielmehr von tiefem mitfühlendem Verständnis für die Irrungen des Menschen, zumal des jungen, geprägt.

Alles Edle, alles Echte, Wahre ist ihm heilig; seinen irdischen Genüssen zugeneigten Diener Sancho behandelt er stets nachsichtig; und als ihm ein Adliger sein Leid klagt, sein Sohn habe den rechten Weg vom Studium der Theologie in Richtung seiner Leidenschaft zur Poesie aufgegeben, verteidigt der Ingeniose den jungen Mann in seiner Wahl vom Prinzip her, allerdings nicht ohne die Bedingungen der Begabung und Ernsthaftigkeit zu stellen, sowie den Schunddichtern das Seine mitzugeben.

Lerne indes der junge Mann zum besten Behufe ernstlich die Sprachen, alswelche die erste Leitersprosse zu den Wissenschaften darstellten, so sei dies an sich zu loben; und kein Vater dürfe, wenn die Absichten redlich, sich letztlich seinem Sohne in der Wahl dessen rechten Lebensweges entgegenstellen, ihn zwar sehr wohl zum Guten, Redlichen und allem Nützlichen ermahnen, müsse aber eben doch vom Geiste der Liebe her, nicht an sich selbst denkend, alles mitgeben, was ihm der Liebe Gott dafür gewähret habe.

Und sei die Poesie gleich der schönsten Jungfrau des Landes, und nur die edelsten und schönsten Jungfrauen des Landes, alswelche a l l e Wissenschaften, hätten die vornehmste Aufgabe darin, sie zu geleiten und schmücken, ihr als vornehmste Zofen zu dienen.

Darin vermag zumindest ich wenig Jesuitisches zu erkennen.

Weiterhin sind die eigentlichen Feinde des Fahrenden nicht Tod noch Teufel, nein, diese fürchtet er nicht, sondern die “malditos encantadores”, die verdammten Zauberer, die die Dinge allenthalben vom Richtigen ins Trugbild, ins Falsche kehren.

Cervantes wusste sehr genau, dass er nur über eine zunächst unherrliche Figur, über eine daran angepasste, darob unverdächtige Allegorie die Verhältnisse in der Welt kritisieren konnte, die sich zeitlebens auch gegen ihn gewendet hatten.

Wer sind nun die “malditos encantadores”?

Jene, die ihm Luftschlösser vorgaukeln, Windmühlen zu Riesen machen, ihn immer wieder zu Fehlschlüssen, vom rechten Weg abführen, wie er immer wieder in höchster Zerknirschtheit feststellt?

Die bösen Zauberer sind jene, die die Welt entzaubert haben.

Die die Welt entzauberten, indem sie ihr die Magie, das Einzigartige, das Ritterliche selbst nahmen, sie zu einem Orte der seelenlosen Krämer, Advokaten und Administratoren machten.

Die lehrten, den Heldenmut des Einzelnen zu verlachen und als irr zu verachten, den Menschen dumpfe Schauspiele bieten, auf dass sie ihrer Entwurzeltheit und Verlorenheit nicht gewahrten, ihnen letzlich ihre Phantasie wie den Gedanken an Höheres zu nehmen.

Don Quijote aber verfügt über den wirksamsten Gegenzauber: Er schafft sich eine eigene Welt, gleich, wie oft er von seinem Klepper gestoßen.

Und er nimmt uns mit in diese Welt, bis zum heutigen Tage.

Wie weit dies reicht, das werde ich in einem Folgekapitel besprechen.

Und dann: Seine Dulcinea, seine Angebetete, für die und zu deren Ehren derer er all dies unternimmt, jene von el Toboso, einem kleinen Bauerndorfe, die laut Geschichte in Wirklichkeit eine nach Knoblauch riechende Klotzberta, steht für das unersetzlich, unübertrefflich zu schützende Weibliche, den Heiligen Gral, das, wofür allein der Ritter lebt, Menschenkünftiges zu bewahren und zu erhöhen.

Auch nicht gerade ein jesuitisches Konzept, deucht mir.

Es sei denn, die Jesuiten wären denn so eine Art geheimer Unterstützer des durch die Kirche immerhin damals schon mindestens weit über tausend Jahre lang unterdrückten Weibes gewesen.

Poesie, Verehrung des Weiblichen, Freie Wissenschaft, Sprachwissenschaft, Freiheit, Mut, Aufrichtigkeit, Milde, Offenheit, Geist, Weitergabe von Geist zur Erbauung des Menschen: schwerlich jesuitische Tugenden.

Sollte Leser “Torpedo” mich durch seine obige Invektive zu dieser Riposte herausgereizt haben, gar wissentlich, gutwillig, so bedanke ich mich an dieser Stelle artigst dafür.

Cervantes als ein Eng-, ein Kleingeist? Der vielschichtigste Roman der Weltliteratur (man zeige mir einen weitgespannteren!) als Produkt des Hirns eines rohisch-katholischen Obskuranten?

Da müsste denn doch gegen all seinen Willen derjenige eines hinterhältigen Zauberers in die Feder des spanischen Nationaldichters gefahren sein, so sehr, dass dieser das Werk dann gar nicht eigentlich selbst geschrieben hätte, sowenig wie seine Exemplarischen Novellen.

Als ich diese Riposte auf Leser “Torpedo” begann, war mir noch nicht bewusst, dass er mich zum Dritten Teile vom positiv traumatisierten Menschen gefordert habe: erstmal steht dieser also.

Aber noch nicht endgültig.

Im nächsten Teile wird es nicht nur vertieft um das Wesen der bösen Zauberer gehen, sondern auch darum, w i e Don Quijote deren Werk zunichte macht.

— Anzeigen —

Tags:

Eine Antwort hinterlassen