Kürzlich hörte ich es wieder im Bayernradio: Anlässlich öffentlichen Schauens der WM-Spiele bei großer Hitze unter freiem Himmel riefen Moderatoren die Teilnehmer mehrfach eindringlich dazu auf, nur ja immerzu viel zu trinken.
Auf derartiges Weistum, viel zu trinken, käme der Fußballfan natürlich nie von selbst, schon gar nicht bei großer Hitze (dass es überhaupt so weit gekommen ist, dass man meint, Germanen zum viel Trinken aufrufen zu müssen, ist ein Zeichen schwerer Dekadenz per se).
Also: Der ganz normale indigene Deutsche oder auch einer mit Migrationshintergrund oder ein Originalmigrant braucht inzwischen den Staatsfunk, der ihn zum hinreichenden Trinken ermahnt.
Ob es nur Nachlässigkeit war, dass der Aufruf nicht auch auf Türkisch, Albanisch usw. gesendet wurde, oder böse Absicht, konnte ich bislang nicht ermitteln.
Nein, Spaß beiseite: Nachdem man seit Jahren propagiert, Eltern müssten ihre Kinder ständig zum mehr Trinken anhalten (Wasser, Saft, Zucker- und Süßstoffgiftplörre, egal was, außer Alkohol), meint man jetzt wohl, selbst die Erwachsenen dieses schönen Landes seien zu verblödet, um Durst zu bekommen und denselben adäquat zu löschen.
Zunächst zu den Kindern: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich von meinen Eltern oder auch Hockeytrainern oder Lehrern im Landschulheim auch nur ein einziges Mal einfach so zum Trinken angehalten worden wäre, außer natürlich, wenn klar war, dass man jetzt bei großer Hitze zum längeren Spaziergang ausrücken würde oder dass es bis zur Halbzeit nichts mehr gäbe.
Genau so halte ich es mit meinen Kindern auch.
Eher muss man ja ab und an Kinder zum weniger oder langsamer Trinken anhalten, zumal wenn es sich z.B. um stark säurehaltigen Saft dreht, denn da streikt bekanntlich schnell der Magen.
Zu den Erwachsenen: Als Spätjüngling bzw. Jungmann kann ich mich noch gut daran erinnern, wie ich mit Kumpanen wochenendabends in unserer Stuttgarter Altstadtstammkneipe saß und der gesundheitlich schon recht angeschlagene, zudem gehbehinderte Ober (der wahrlich etwas vom Trinken verstand, jedes Bier jedes einzelnen akkurat im Gedächtnis hatte, nie auf Deckel schrieb) mit sonorem Bariton quer durch den Laden rief: “Saufet, Jungs, saufet!”
Das gefiel uns gar sehr, und wir versuchten denn auch nach Kräften seiner Forderung genüge zu tun.
Ich kann mich auch erinnern, wie mein Steinmetzmeister beim abendlichen Fachsimpeln und Aufsprechen angelegentlich mahnend die Stimme deutlich erhob: “Leute, wir trinken zuwenig!”
Einen besonderen Spezialisten, der sich das Trinkennichtvergessen beeindruckend konsequent beherzigte, gewahrte ich kürzlich in einem Berlin-Kreuzberger Park: Beim Federballspiel mit seiner Freundin ließ er sein Sternburg-Pilsener niemals los, Schläger in der Rechten, Bouteille in der Linken, agierte er durchaus flott und behende, nahm immer wieder, wenn der Ball etwas weiter gespielt war, zwischendurch souverän einen beherzten Schluck, um bei so viel sommerlicher Betätigung nicht plötzlich desikkiert darniederzusinken.
Man sah jedenfalls, dass der junge Mann nicht nur im Federballspiele gut geübt war, sondern auch im gleichzeitig genug Trinken.
An der Ostsee, in Warnemünde, sitzt wohl schon jahraus jahrein ein spezieller Vogel an einer belebten Ecke auf seiner Bank (sie scheint ihm praktisch schon ein Nießbrauchrecht eingeräumt zu haben), meist alleine, brabbelt Passanten an, rauschebärtig, und zieht in stetem Rhythmus neben der stetigen Ausübung dieser seiner Profession die Kornflasche aus der Jeansjackenbrusttasche, worein diese exakt passt, und nimmt in gemessenen Abständen einen hinreichenden Schluck.
Ich gieße mir jetzt ein Gläschen Wein ein und werde darauf achten, dessen nicht zu sehr zu schonen, um nicht schon an einem Samstagspätnachmittage jämmerlich zu Verdürsten oder einen Nierenkollaps zu erleiden.
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Tags: Trinken
Verehrter Meister Göller,
wiewohl ich Ihre sonstigen Beiträge lesend mich nie erkühnen konnte, was zu antworten, greift es mich jetzt doch an:
Gerade Erwachsene scheinen nicht in der Lage zu sein, hinreichend viel zu trinken.
Zum Belege mag einerseits dienen, daß meine eigene Frau mich immer wieder an dergleichen erinnert (man vergisset schlicht über des Tages Mühe) als auch, daß ich selbsten über mehrere Tage warmen Wetters Zeuge ward, wie ganze Gruppen von ausgewachsenen Männern in Sommershitze die Mahnungen, ja genug Wasser mitzunehmen, in den Wind schlugen und hinterher fix und fertig waren.
An der Fähigkeit des mitteleuropäischen Menschen, selbst verantwortlich für eigenste Bedürfnisse sorgen zu können, zweifle ich seitdem.
(Dieser Zweifekl lässt sich durchaus auch auf andere Gebiete ausdehnen)
Freundlichen Gruß
Jörg