Der Meister des Massakers spricht

Quentin Tarantino, der Regisseur des fröhlichen Deutsche-Massakrierens “Inglourious Basterds” gewährte dem SPIEGEL dieser Woche unter dem Titel “Meine eigene Welt” ein Interview, welches also grell und skurril wie merkwürdig ausfiel.

Auf das Nachspiel bin ich jedenfalls bereits gespannt.

Der kecke Filmemacher aus Amerika erklärt darin nach einigem Anfangsgeplänkel zunächst allen Ernstes, der Krieg habe nur deshalb nicht 1944 in der von ihm erfundenen Weise geendet, weil seine Figuren, die die Nazi-Führungsriege kurzerhand in einem Pariser Kino in die Luft jagen, damals nicht existiert hätten.

Naja, ich will ja jetzt nicht darüber spekulieren, ob Arminius den Germanen und zumal den Römern die Varusschlacht hätte ersparen können, indem er sich zusammen mit einer Handvoll weiterer Bastarde hinter den Linien bis nach Trier durchgemetzelt und -skalpiert hätte, um zum glorreichen Schlusse Kaiser Augustus und den römischen Senat, gerade zu Besuch ob einer Theateraufführung, daselbst im Handstreich komplettamente niederzukatapultieren…: Aber die römischen Legionäre waren ja schließlich keine solchen militärischen Stümper wie die Soldaten der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS.

Im weiteren Verlauf des Interviews fragt der SPIEGEL originellerweise, “ob das ‘Dritte Reich’ mittlerweile genauso unbefangen als Material für Spielfilme benutzt werden kann wie zum Beispiel der Kampf zwischen Cowboys und Indianern im Wilden Westen.” (!!!)

Darauf Tarantino: “Damit habe ich kein Problem, im Gegenteil. Die Widerstandskämpfer in meinem Film handeln sogar wie Indianer auf dem Kriegspfad: auflauern, töten, skalpieren. Mir geht es darum, eine Abenteuergeschichte zu erzählen. Eine aufregende Story – wie in den Filmen der fünfziger und sechziger Jahre, als man kein schlechtes Gewissen haben musste, wenn man Spaß daran hatte, sich im Kino eine Kriegsgeschichte anzusehen.”

Nun wird es den SPIEGEL-Leuten aber doch zu bunt (Spaß am Verlauf des Völkermordes an den nordamerikanischen Indianern ist sozusagen o.k., aber…): “Wo hört für Sie der Spaß auf? Beim Holocaust?”

Auf diese gefährliche Frage hin windet sich Tarantino zunächst ein wenig, lobt die Filme “Operation Eichmann” von 1961 sowie Spielbergs “Schindlers Liste” und spricht hernach allgemein von weiteren Filmen der letzten 20-30 Jahre “die sich auf die Tragödie und die Opfer konzentriert haben, die deutsche Schuld und diese Sachen”, welche er auch wegen der permanenten Geigenuntermalung als “auf die Dauer sehr eintönig” bezeichnet.

Darauf der SPIEGEL: “Es ist eben ein sehr ernstes Thema.”

Riposte Tarantino: “Mich bringen viele dieser ernstgemeinten Filme über das ‘Dritte Reich’ eher zum Lachen.”

Potzblitz, dachte ich mir an dieser Stelle, der Mann erklärt im SPIEGEL auf die Frage, ob bei ihm beim Holocaust der Spaß aufhöre, allen Ernstes das oben Zitierte.

Aber damit nicht genug, Tarantino macht nicht halt, er schockiert die armen beiden Journalisten weiter.

Zur Nazi-Filmproduktion selbst nämlich erklärt er, ohne überhaupt danach gefragt worden zu sein, nicht alle Filme jener Zeit seien Propagandawerke, wie man annehmen würde, wenn man nichts über diese Zeit wüsste: “Aber nein! Die meisten Filme waren Komödien, Operetten, Liebesgeschichten, Melodramen…”

SPIEGEL: “Sie wollen behaupten, Nazi-Deutschland habe unter Propagandaminister Goebbels gute Filme hervorgebracht?”

Tarantino: “Oh ja, einige dieser Filme waren ziemlich gut! ‘Glückskinder’ zum Beispiel ist einer meiner Lieblingsfilme. Ein sehr, sehr lustiger Film. Wenn man sich nur die deutschen Filme bis 1945 ansieht, merkt man kaum, dass Krieg herrschte.”

Und Tarantino geht noch weiter. Wiederum ungefragt, lenkt er selbst das Thema auf Leni Riefenstahl und erklärt auf die dann folgende Frage, ob Riefenstahl eigentlich eine gute Regisseurin gewesen sei: “Sie war die beste Regisseurin, die jemals lebte. Um das zu erkennen, muss man nur ihre Olympia-Filme ansehen.”

Und er bricht noch mehr Tabus.

Auf die nächste Frage, ob er denn gewarnt worden sei, dass er sich mit seinem Film auf ein Minenfeld begebe, meint Tarantino, eigentlich jeder deutsche Schauspieler, den er getroffen habe, habe sein “Ich liebe das Drehbuch” (!?) mit der eindringlichen Warnung zur Vorsicht verknüpft und dem Hinweis, er könne sich “nicht vorstellen, dass ein Deutscher so etwas hätte schreiben können”.

Schließlich beklagt der SPIEGEL, dass der SS-Mann Hans Landa die charismatische Figur des Films sei, während er auf der anderen Seite Juden als Schlägertypen zeige, die den Nazis an Brutalität in nichts nachstünden, die Opfer würden bei ihm auch zu Tätern.

Tarantino erklärt, dies sei kein Zufall, sondern der Film folge einem Grundgedanken: “Everybody is everybody.”

SPIEGEL: “Das heißt?”

Tarantino: “Es gibt keine eindeutig Guten und keine eindeutig Bösen in diesem Film.”

Dies beklagt der SPIEGEL natürlich, worauf Tarantino noch eine wohl besonders grausige Filmszene heranzieht, in die er absichtlich einen gefangenen deutschen Soldaten so eingebaut habe, welchen er ja auch als erbärmlichen Feigling hätte darstellen können: “Doch dieser deutsche Feldwebel in meinem Film fürchtet sich nicht. Er ist ein äußerst tapferer, aufrechter Soldat.”

SPIEGEL: “Was lehrt uns das?”

Tarantino: “Der Punkt ist: Die Wirklichkeit des Krieges war eben kompliziert.”

Hiermit endet das Interview.

Ob die SPIEGEL-Journalisten an dieser Stelle das Stoppschild hoben, um nicht noch mehr ihnen unangenehme Dinge zu hören, als sie bis dahin bereits hatten ertragen müssen, oder ob Tarantino es genug sein lassen wollte, konnte ich bisher leider nicht in Erfahrung bringen.

Bemerkenswert bleibt an diesem Interview allemal, dass Tarantino nicht nur direkt und sehenden Auges in die Riesenfettnäpfe hineinstapft, die ihm die SPIEGEL-Leute hinstellen (Spaß bezüglich des Holocausts; jüdische Opfer, die zu Tätern werden; keine eindeutig Guten oder Bösen), sondern noch extra eigene weitere hinstellt, um vergnügt hineinzuhüpfen (gute Filme unter Goebbels, üble Propagandafilme als eher die Ausnahme; Leni Riefenstahl als beste Regisseurin je, welches an ihren Olympia-Filmen ersichtlich sei; Deutsche Schauspieler, die meinen, ein Deutscher hätte sowas nicht schreiben können; den tapferen, aufrechten deutschen Soldaten; die Wirklichkeit des Krieges sei eben kompliziert gewesen).

Wir zählen also ungefähr zehn dieser “Riesenfettnäpfe”, dieser normalerweise schon einzeln zumindest in Deutschland für jeden sehr bedenklichen, wenn nicht gefährlichen Aussagen, der es sich bei den Medien, beruflich, sozial oder gar mit dem Staatsanwalt nicht verderben will.

In freiwilliger Aneinanderreihung wiederum, öffentlich in einem Massenmedium abgesondert, gäbe es jedenfalls nicht viele (noch) zugelassene Parteien hier im Lande, die Herrn Tarantino nicht sofort als Mitglied ausschlössen; und zumal einen Aufnahmeantrag bräuchte er erst gar nicht zu stellen.

Mal sehen, ob irgendein fragwürdiger Spaßvogel, der meint, nicht mehr viel zu verlieren zu haben, hier die Probe aufs Exempel macht, indem er sein Recht auf freie Meinungsäußerung dergestalt ausübt, dass er sich den Einschätzungen, welche der große amerikanische Hollywood-Regisseur im großen linksliberalen deutschen Nachrichtenmagazin unbeanstandet verbreiten durfte, öffentlich voll und ganz anschließt.

Am 20. August kommt der Film (unzensiert?) in die deutschen Kinos, und man darf gespannt sein, wie viele wohlwollende Kritiken z.B. die F.A.Z. nach diesen Einlassungen des cineastischen US-Großmeisters noch abdrucken wird.

Gut möglich, dass die Debatte um den skandalösen Film in Deutschland noch ganz neue Wendungen nimmt.

Sie dürfte jedenfalls keineswegs vorüber sein.

P.S.: Weitere Artikel zum Thema finden Sie unter “Sich selbst verflucht”, “Scheußlichste Mordphantasien” (ein Gastbeitrag von Karl-Heinz Terpelle, Berlin, ursprünglich als Leserbrief erschienen in der F.A.Z.), “Hitlers Hollywood III”, “Hitlers Hollywood II” sowie “Hitlers Hollywood”.

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