Leser? – Schreiben!

Seit Jahren geht mir der Journalisten-Spruch “Immer an den Leser denken”  im Kopfe herum.

Der hat natürlich was, aber er ist oft auch nur ein verklausulierter Aufruf zur Korruption.

Die Textsorten Bericht und Reportage sollten dieser Maxime selbstverständlich weitestgehend folgen.

Wie aber sieht es bei Kommentaren, Essays, gar Satiren aus?

Natürlich sollte ein Autor auch beim Verfassen solcher Texte daran denken, dass er sein Publikum einigermaßen verständlich erreicht. Ansonsten aber verkehrt sich der Spruch doch häufig in ein “Immer gegen den Leser denken”.

Ich nehme die FAZ als Lehrbeispiel. Dieses nicht, weil ich sie besonders verachtete, sondern weil sie sich als Leitmedium besonders dafür eignet.

Ein typischer FAZ-Leitartikel bzw. Kommentar wird nämlich g e g e n den Leser geschrieben, und das ganz professionell und auftragsgemäß.

Der Leser soll systematisch in bestimmte Formulierungen eingehegt werden, sobald irgendetwas kritisch wird: “Manche Finanzmarktakteure haben sich, zugegeben, Exzesse geleistet, aber Irren ist nun mal menschlich, und außerdem sind wir irgendwie alle so und damit auch nicht besser und mitschuldig, und wer will schon in Nordkorea leben, hä?”

Gut, das war jetzt etwas grobschlächtig von mir und bildete nicht die Eleganz eines 600-Wörter-FAZ-Artikels ab, aber vielleicht wurde ich verstanden.

Weiter: Die von mir gestern so hoch gelobte Satire “Warn und Alarm” meiner Kollegin Beck hätte niemals, behaupte ich, das Licht der Welt erblickt, wenn sie immer nur “An den Leser gedacht” hätte.

Wenn Friedrich Nietzsche immer an den Leser gedacht hätte, dann hätte er vielleicht ein paar Schundromane geschrieben und 1885 mehr Leser gehabt, als er hatte, aber die Menschheit besäße nicht unter anderen das Geschenk namens “Also sprach Zarathustra”.

Dieses Buch wurde nicht “Für den Leser” geschrieben sondern “Für Alle und Keinen” und zunächst auch kaum gelesen, dafür aber versucht man es heute noch immer auf der ganzen Welt zu verstehen.

Wer nur für oder gegen seine Leser schreibt, ist ein belangloser kleiner Lohnschreiber.

Alle bedeutenden Dinge werden um ihrer selbst willen getan.

Das gilt auch fürs Schreiben.

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