Jenseits von Bill und Unbill

Der Nachhall kurzer, einfachster Sätze von Verstorbenen, die man liebte, kann gewaltig sein. Immer wieder kommen sie zurück, entfalten sich nochmals neu, wie als ob zum ersten Male gehört.

Es ist, wie als ob der oder die einen verließ einem nicht nur ein sich stets erneuerndes Geschenk mitgegeben hätte, sondern auch noch ein immer wertvolleres.

Kaum je wird das demjenigen zum Zeitpunkte der Äußerung bewusst gewesen sein, was er da hinterlassen werde.

“To live in the hearts of those we leave behind is not to die.” (Thomas Carlyle)

(“In hinterbliebenen Herzen leben heißt unsterblich sein.”) (Meine freie Übersetzung)

Diese Sätze sind keineswegs nur in Augenblicken der Niedergeschlagenheit, des Gefühles des Verlustes da; sie sind auch Wegweiser zur Erneuerung, zu neuem Glücke.

Sie sind ein Erbe, von daher das wertvollste denkbare, dass man es nicht durchbringen kann, solange man nicht gänzlich den Verstand verliert.

Es ist, wie als ob der Verstorbene sich stets erneuernde Welten in einen gepflanzt.

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Gestern traf ich den Weinschlumpf (auch einen etwas überdrehten Ami und eine neugewonnene Freundin, mit denen ich mich dann unterhielt). Er trug im Schummerlicht eine dunkle Brille, derer ich ihn, verwundert, befrug, war gestürzt, das verletzte Auge aber schon etwas besser. Der Weinschlumpf hat meinen Freund James, der angelegentlich lästerte, der Weinschlumpf söffe zuviel, schon souverän um ein paar Lebensjahre übertroffen.

Ich glaube nicht ans Trinken. Aber auch nicht ans Nichttrinken oder mäßig Trinken. Letzteres allerdings in dem Sinne schon, dass man Frauen oder gar Wirtinnen nicht unmäßig angrapschen solle. Und nicht nur trinken, sondern auch etwas schaffen.

Der Weinschlumpf lacht fast immer (ich habe ihn nur einmal traurig erlebt, er gab freimütig zu, heute etwas niedergeschlagen zu sein; er war verheiratet und hat zwei Kinder, also nicht nur Trollingererfahrung), sein Deutsch ist noch beim letzten Weine makellos, kann Französisch “comme une vache espagnole”. Er macht nie Ärger und findet immer allein seine Bahn in den Westen.

Er ist ein begnadeter Zeichner, verdient sich damit, bald 70, noch ein Weingeld dazu, dabei sicherlich nicht, was man landläufig als glücklich bezeichnet, aber gewissermaßen schon jenseits von Bill und Unbill.

Ich will den Weinschlumpf noch in fünf und in zehn Jahren weinschlumpfen sehen.

(Hoffentlich lacht er sich vorher nicht tot, weil ihm ein Arzt empfohlen, er solle weniger trinken. Aber auf so einen Rat hin sagte er wohl, dass es die Natur ja schon dahingehend gerichtet habe, indem er weniger vertrage als früher.)

 

 

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