Grass rockt

Ich bin, was die Grass-Sache anlangt, jetzt doch deutlich optimistischer.

Im Zuge der Debatte sind so viele Masken gefallen, dass man vielleicht schon in zehn Jahren eine Wendemarke des öffentlichen Diskurses in Deutschland konstatieren wird, da zu dieser mehrere Endstufen der Heuchelei, Hysterie und Hetze durchbrannten, so dass hinterher nichts mehr wie vorher war.

Teils, ich mag mir das Bild nicht verkneifen, wirkt es wie als ob hundert Heilige Hackmesser stakkatohaft in einen zähen, rotbraunen Schleim schlügen, die Beilführer sich dabei wunderten, weshalb er nicht in Stücke spränge. Und was macht derweil der Schleim? – Er beklagt sich, dass er nicht artgerecht behandelt werde.

Leserin Lesezeichen schloss ihren eben eingestellten Kommentar zu “Günter Gras II” also:

“Es gibt keine vergleichende Schlechtigkeit. Es gibt sie nicht mal als Argumentationshilfe. Von daher ist die ganze Diskussion absurd.”

Genau. Und eben deshalb, weil die ganze Diskussion von daher absurd ist, meine ich inzwischen, so absurd das selbst klingen mag, dass das absurde Theater bald einem anspruchsvolleren Publiko wird weichen müssen.

Die Erbschulddemenz wurde, wird hier derart auf die Spitze getrieben, dass man, einer Shakespeare’schen Komödie beiwohnend, wohl sagte, da habe der Meister aber doch einmal etwas übertrieben.

Grass rockt.

Da verfasst einer ein im Grunde genommen saublödes politisches Pamphlet in eine missratene  Pseudo-Gedichtsform, und die Mediokratur tanzt zum schrägen Duktus alswie zum Deathblues.

Ich rate Ihnen, lachen Sie jetzt auf der Stelle.

Ja, Sie gewahren den öffentlichen Verfall jedes gesunden Menschenverstandes, und zwar nicht in Zeitlupe. Vielmehr in Echtzeit, und das verdammt schnell.

Es wird ein Danach geben, denn so etwas hat noch nie lange gehalten.

Egal, ob Grass, wie man es sich an illustrer Schafsworttanke schon wünschte, bald ins Gras beißt, oder auch nicht.

Wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, wird man sich in Ruhe anschauen können, wer sich welcher Worte offenbart hat. Dann folgt die zweite Runde.

Diese wird, meine ich, ein paar heftige, unerwartete Blessuren für einige jener bringen, die Grass in übelster Weise über einen Nazileisten geschlagen haben, damit indirekt natürlich auch alle seine Unterstützer, also, dass deren Tiraden auf sie zurückfallen.

Grass rockt.

Nachtrag (kurz nach Erstveröffentlichung):

Wir haben es hier mit einem teilweise noch chaotischeren System als üblich zu tun. Mancherlei Verstärkungseffekte sind außer Kontrolle. Die Lage ist absolut nicht normalchaotisch. Klügere Israelis wie Segev und Zimmermann versuchen, dies anscheinend sehend, bereits, die Sache einen Stock tiefer zu hängen, nämlich von der Politik runter ins Feuilleton. Sowohl Israels Innenminister wie auch Israels Außenminister haben sich, international gesehen zuwenigst, zu Eseln gemacht. Ob Döpfners Einlassungen zur Causa klug waren, das mag er selbst noch herausfinden. Bei Broder ist es eh egal.

Aber auch diejenigen, die flugs auf Grassens Zug aufsprangen, nationaler Befreiung halber, da der ja unverdächtig oder wenigstens nicht rechts, nach dem Motto “immerhin!”, seine Schuldsuhle als die ihrige nahmen oder als allemal hinnehmbar bis in der Sache irrelevant, werden sich noch die Ohren auszuwaschen haben.

Denn sie stellen die letzten Toren in diesem Theater. Oder mindestens gemeinsam geistig Letzten. Man rate, mit wem.

Zum Glück habe ich das Stück namens “Grasschiff” nicht erdacht.

So wird es aller herzhafter Piraten freie Prise.

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4 Antworten zu “Grass rockt”

  1. Sedofina sagt:

    Grass legte einen verbalen Honeypot aus, und jetzt stecken die uebereifrigen Schmeissfliegen knietief drin. – Mehr Honeypots braucht das Land.

  2. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ Sedofina

    Das Land braucht mehr sedo anstatt sedo und das durchaus fina.

  3. joker sagt:

    Ha, die meisten derer, die sich über das Gedicht aufregen, haben es ja nicht einmal komplet gelesen!
    So macht man Stimmung und Nachrichten im unfreien Deutschland im Jahre 2012.

  4. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ alle

    Ich werde jetzt den Kommentar eines “gargamel” – dazu auch meine beiden knappen Entgegnungen – von der Seite entfernen.

    Ich bitte alle Leser um Verzeihung, dass ich nicht sofort erkannte, dass ich diesen nicht als freie Meinungsäußerung veröffentlichen dürfe.

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